Kommentar

Aus der „Volkskanzler“-Traum

Herbert Kickl ist gescheitert. Wer außerhalb des Verfassungsbogens steht, kann nicht Bundeskanzler sein.

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Die Kickl-Exegese ist manchmal ziemlich leicht. Man muss dem FPÖ-Obmann einfach nur zuhören. Bevor er die ÖVP am 7. Jänner zu Regierungsverhandlungen einlud, forderte er von seinen zukünftigen Partnern Unterwerfungsgesten. Die Volkspartei solle sich bei ihm für davongetragene „Narben“ entschuldigen und akzeptieren, dass die FPÖ als Nummer 1 vorgebe, wo es lang gehe. Und wenn die Schwarzen nicht spuren, dann gäbe es eben Neuwahlen. Er hätte auch mit der Großmut des Wahlsiegers höflich eine Einladung aussprechen können. Die ÖVP reagierte auf Kickls Aussagen, indem sie deren Inhalt verdrängte. Kickl hätte das nicht so gemeint, seine harschen Worte wären zur Beschwichtigung seiner ÖVP-kritischen Anhänger gedacht gewesen.

Wer Kickl kennt, wusste schon damals: Der FPÖ-Obmann meint es genau so. Das mussten auch die ÖVP-Verhandler um Parteichef Christian Stocker erkennen. In den Gesprächen mit ihnen trat Kickl bisweilen ähnlich forsch auf. 

Der FPÖ-Obmann ist bei der Regierungsbildung aus persönlichen und inhaltlichen Gründen gescheitert. Voraussetzung für jede Koalition ist ein belastbares Verhältnis zwischen den Spitzenleuten. Kickl hat sein Misstrauen gegenüber der ÖVP allerdings nie abgelegt. Seine Partei kann er mit zwei Vertrauten führen, eine Bundesregierung nicht. Ein Kanzler wirkt durch seine Persönlichkeit und seine Bereitschaft zur Kommunikation. Kickl ist ein Polarisator, kein Stabilisator. Wer im Wahlkampf seine Mitbewerber beschimpft, muss sich nicht wundern, dass unter ihm keiner dienen will. Dazu zeigte sich Kickl unnachgiebig. Das Innenministerium wollte er partout nicht der ÖVP überlassen.

Schwerer wiegen die inhaltlichen Gründe. Herbert Kickl plant offenbar, österreichische Gesetze zu ignorieren. Das belegen sein Wahlprogramm, seine öffentlichen Äußerungen und die geleakten blau-schwarzen Verhandlungsprotokolle. Er untergräbt Österreichs Mitgliedschaft in der EU, die von den Bürgerinnen und Bürgern 1994 per Volksabstimmung beschlossen wurde. Er will die im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention ignorieren. Er kündigt an, sich nicht an internationale Rechtsprechung halten zu wollen. Er gefährdet Österreichs Sicherheit durch die Ablehnung einer modernen Raketenabwehr (Sky Shield). Und er opfert Österreichs Westbindung zugunsten der blauen Russland-Neigung. 

Im Jahr 2000 stand die FPÖ innerhalb des Verfassungsbogens, wie der seinerzeitige Klubobmann der Volkspartei und spätere Nationalratspräsident Andreas Khol festhielt. ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel bildete mit ihr seine umstrittene schwarz-blaue Koalition. 25 Jahre später hat die FPÖ offenbar beschlossen, den Verfassungsbogen zu verlassen. Die ÖVP hat dies im letzten Moment erkannt.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.