profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Acht Lehren aus der Krise

Vielleicht ist es ja doch nicht ganz falsch, wenn private Haushalte, Unternehmen und auch Staaten in wirtschaftlich guten Zeiten Reserven bilden.

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Noch nie in der jüngeren Geschichte war die Arbeit von Virologen so einflussreich wie heute. Keine Regierung der Welt kann sich ihrem Rat entziehen. Das Problem: Die Experten sind sich nicht wirklich einig. Während der Großteil von ihnen die drastischen Beschränkungen des öffentlichen Lebens verteidigt, hält sie eine kleine, aber wachsende Gemeinde von Virologen für überzogen. Wir wissen nicht, wer recht hat. Dafür lassen sich bereits zahlreiche ökonomische Schlüsse aus der Corona-Krise ziehen.

Erstens nützt eine gut funktionierende Wirtschaft nicht den wenigen, sondern den vielen. Die tobende Gesundheitskrise legt in erschreckender Klarheit offen, wie sehr wir alle von einer gut florierenden Wirtschaft abhängig sind. Wer also nach Antworten auf die Frage sucht, wie wir schnell zu einem Leben in Wohlstand zurückkehren können, sollte nicht auf jene hören, die eine Abkehr vom "Wachstumszwang" fordern. Wer heute arbeitslos oder auf Kurzarbeit ist, weiß, was das in der Realität bedeutet. Dasselbe gilt für Unternehmer, die vor der Pleite stehen.

Zweitens ist es selbst aus liberaler Sicht wichtig und richtig, dass der Staat in Zeiten der Krise Stärke zeigt und interveniert. Wann, wenn nicht jetzt? Klar ist aber auch, dass der Staat nicht dauerhaft das Bruttoinlandsprodukt ersetzen kann. Mit anderen Worten: Es muss gelingen, so schnell wie möglich zur wirtschaftlichen Normalität zurückzukehren, wenn nötig schrittweise. Das Ziel kann nur sein, dass Gesunde schon bald wieder zur Arbeit können, während Erkrankte und Risikogruppen zu Hause bleiben.

Drittens kann derzeit niemand seriös prognostizieren, wie hoch die Wohlstandsverluste werden. Aktuell spricht leider etwas mehr gegen eine rasche und kräftige Erholung als dafür. Große Unternehmen melden reihenweise dreimonatige Betriebsschließungen an -bis sie wieder liefern und Abnehmer für ihre Produkte finden, wird also mindestens ein Quartal vergehen. Nur um die Dimensionen klarzustellen: Läuft die Wirtschaft über drei Monate lang nur auf halber Kraft, würde das über das Jahr gesehen zwölf Prozent Wachstum kosten. Das muss nicht passieren, schließlich erwarten die Wirtschaftsforscher mit 2,5 Prozent Minus ein relativ glimpfliches Szenario. Die Realität wird irgendwo dazwischen liegen.

Länder, deren Regierungen in den vergangenen Jahren um solide Haushalte bemüht waren, haben in Krisenzeiten wesentlich mehr Möglichkeiten, jenen zu helfen, die nicht in der Lage waren, Reserven zu bilden.

Viertens liegt die größte Gefahr in der wachsenden Unsicherheit. Die Menschen wissen nicht, wie lange sie noch durchhalten müssen und was passiert, wenn der Plan der Regierung, die "Kurve abzuflachen", nicht aufgeht. Die Menschen brauchen eine zeitliche Perspektive. Sie müssen eine Vorstellung davon haben, wie lange dieser Ausnahmezustand realistischerweise andauert.

Fünftens ist die hohe Unsicherheit auch der Grund für die Kündigungswelle, die in einem noch nie dagewesenen Ausmaß über das Land rollt. Allein im März ist die Arbeitslosigkeit in Österreich fast drei Mal stärker gestiegen als nach der letzten Finanzkrise. 560.000 Menschen sind arbeitslos, eine Viertelmillion ist auf Kurzarbeit -und der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Es wird weitere Kündigungen geben, obwohl die Regierung eines der weltweit großzügigsten Kurzarbeitsmodelle anzubieten hat. Die Kurzarbeit ist auch keine Hilfe für die Unternehmen, sondern für die Beschäftigten: Die Arbeitgeber zahlen die Löhne weiter und bekommen diese vom AMS nach einigen Monaten zurück. Viele Betriebe kündigen trotzdem. Nicht weil sie bösartig sind, sondern weil ihre liquiden Mittel zur Neige gehen und sie nicht wissen, ob sie jemals wieder aufsperren können. Kündigen sie nicht, droht die Gefahr der Konkursverschleppung.

Sechstens ist die heimische Bürokratie mehr Problem als Lösung. Das AMS tut das Menschenmögliche, neben den Hunderttausenden Anträgen auf Arbeitslosengeld auch den Ansturm auf die Kurzarbeit zu bewältigen. Die Mitarbeiter des AMS leisten Heroisches, andere Länder tun sich mit der Abwicklung aber offensichtlich leichter - in der Schweiz wurden innerhalb kürzester Zeit eine Million (!) Anträge auf Kurzarbeit genehmigt, während österreichische Behörden aufgrund der bürokratischen Vorgaben mit einer Viertelmillion nicht nachkommen. Siebtens zeigt sich, wie wichtig finanzielle Reserven sind. Das gilt für private Haushalte ebenso wie für Unternehmen, aber auch für Staaten. Länder, deren Regierungen in den vergangenen Jahren um solide Haushalte bemüht waren, haben in Krisenzeiten wesentlich mehr Möglichkeiten, jenen zu helfen, die nicht in der Lage waren, Reserven zu bilden. Bestes Beispiel ist Deutschland, das sich jahrelang für die Politik der schwarzen Null kritisieren lassen musste. Nun aber kann Deutschland bei den Corona-Hilfen in die Vollen gehen. Achtens ruhen all unsere Hoffnungen auf der Wissenschaft. In Deutschland und Österreich werden bereits die ersten Wirkstoffe an Patienten getestet. Das lässt uns mit Zuversicht nach vorn schauen. Noch nie in der jüngeren Geschichte war die Arbeit von Virologen und anderen Medizinern so wichtig wie heute.

Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.