Die Gratis-Republik
SPÖ-Chef Andreas Babler fordert eine kostenlose, gesunde, warme Mahlzeit für alle Kinder in allen Kindergärten und Pflichtschulen. Immerhin könnten 43.000 Kinder in Österreich nicht ausreichend ernährt werden, wie der rote Kanzlerkandidat betont. Abgesehen davon sei nicht einzusehen, warum Eltern für das Schulessen ihrer Kinder bezahlen sollen, wenn doch der Schulbesuch samt Schulbüchern aus gutem Grund kostenlos ist. Eine gute Bildung sei schließlich die zentrale Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, was auch dem Staat später Kosten erspare, wie der SPÖ-Chef vom ORF zitiert wird.
In Österreich grassiert aber nicht nur die Kinderarmut, sondern auch die „Periodenarmut“. Viele Frauen könnten sich die monatlichen Ausgaben für Menstruationsprodukte nicht mehr leisten, weshalb der „Standard“ dem Problem vergangenen Dienstag eine große Aufmacher-Story gewidmet hat. Darin war zu lesen, dass für fast jede dritte Frau die Kosten für Binden und Tampons eine finanzielle Belastung seien, wie eine Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International ergeben hat. Einer Berechnung der Arbeiterkammer zufolge könnten Periodenprodukte über 40 Jahre hochgerechnet bis zu 2640 Euro kosten. Das wären dann 5,50 Euro im Monat – ein nicht wirklich abenteuerlich hoher Betrag, der im Sozialstaat Österreich aber offensichtlich die Alarmglocken schrillen lässt. So müssten künftig an allen Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie in allen öffentlichen Toiletten Periodenprodukte kostenlos verfügbar sein. „Die Versorgung mit Periodenprodukten sollte genauso selbstverständlich sein wie das Vorhandensein von Toilettenpapier“, erklärte Rihab Toumi, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung und der Sozialistischen Jugend, gegenüber dem „Standard“.
Vielleicht brauchen wir ja nicht immer mehr Sozialstaat, sondern einen anderen, treffsichereren.
Barbara Maier, die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung und Verhütung (ÖGF), wiederum hielt Anfang Juli in der „Kleinen Zeitung“ ein flammendes Plädoyer für kostenlose Verhütungsmittel, weil armutsgefährdeten jungen Menschen das Geld für eine adäquate Verhütung fehle. Deshalb müssten Kondome, Antibabypillen und Spiralen für alle Bürger in diesem Land gratis bereitgestellt werden, um ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden.
Wir halten fest: Das Ergebnis von 50 Jahren exzessiver Umverteilung durch den Sozialstaat ist also, dass sich immer mehr Menschen weder eine warme Mahlzeit für ihre Kinder, noch die 5,50 Euro im Monat für den Erwerb von Binden und Tampons oder die gewünschten Verhütungsmittel leisten können. Wenn das tatsächlich so ist, dann sollte sich die politische Debatte nur noch um eine Frage drehen: Was um Himmels willen macht der Sozialstaat Österreich eigentlich den ganzen langen Tag, wenn er die Bedürftigen in diesem Land nicht mehr erreicht? Vielleicht brauchen wir ja nicht immer mehr Sozialstaat, sondern einen anderen, deutlich treffsichereren. Einen Sozialstaat, der jene erreicht, für die er gedacht ist, und nicht alle Bürger gleichermaßen beglückt. Einen, der zwischen Kindern von Gut- und Spitzenverdienern und jenen aus einkommensschwachen Haushalten unterscheidet. Weil die gut verdienenden Eltern selbst für das Mittagessen ihrer Kinder aufkommen und sich auch die nötigen Binden, Tampons und Verhütungsmittel leisten können.
Bevor wir das ganze Land zur sozialistischen Gratis-Republik erklären und weitere Steuermilliarden lockermachen, sollten wir die Stopptaste drücken. Es liegt nämlich der dringende Verdacht in der Luft, dass ein Staat, der mit Sozialausgaben von 140 Milliarden Euro im Jahr bedürftigen Schulkindern kein warmes Mittagessen auf den Tisch stellen kann, das auch mit 150 oder 160 Milliarden Euro nicht schaffen wird. Zu klären wäre auch die Frage, wie arm die Menschen in diesem Land tatsächlich sind – Statistik-Austria-arm oder EU-arm? Zwischen den beiden liegen nämlich Welten. Glaubt man der Statistik Austria, sind 7,9 Prozent der Bevölkerung tatsächlich arm. Einer umfassenden Umfrage der EU unter den heimischen Haushalten zufolge trifft das nur auf 2,3 Prozent der Bevölkerung zu. Laut Statistik Austria können elf Prozent der Bevölkerung ihre Wohnung nicht ausreichend heizen, laut EU-SILC (steht für European Union Statistics on Income and Living Conditions) sind es hingegen drei Prozent. Wer hat recht? Schwer zu sagen. Beide befragen die heimische Bevölkerung, die EU überprüft die Angaben der Bürger allerdings auch auf ihre Plausibilität.
Unbestritten ist hingegen der breite Konsens in diesem Land: Jeder vernünftige Mensch will, dass eine gute Bildung nicht von der Geburt im „richtigen“ Haushalt abhängt und dass für jedes Kind ein warmes Mittagessen bereitsteht. Aber niemand kann wollen, dass sämtliche Ausgaben des täglichen Lebens aller Bürger irgendwann vom Staat übernommen werden. „Gratis“ heißt ja nicht, dass Waren und Dienstleistungen keinen Preis mehr haben. Sondern dass jemand anderer dafür bezahlt. Und das sind letzten Endes immer die Steuerzahler.
Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.