Franz Schellhorn: Ein Abstieg auf leisen Sohlen
Das aktuelle Wettbewerbsranking der Schweizer Hochschule IMD bestätigt, was die meisten Bewohner dieses Landes längst wussten: Gemessen an den enormen Mitteln, die der österreichische Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben einsetzt, ist das Ergebnis ein bescheidenes. Wer Kinder im Schulalter hat oder in den vergangenen 14 Monaten Kontakt zu einer öffentlichen Dienststelle suchte, weiß, wovon die Rede ist. Deshalb kommt es nicht überraschend, dass Österreich in der Rangliste der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt nur auf Platz 19 zu finden ist.
Überraschender ist, dass mit der Schweiz, Schweden, Dänemark und den Niederlanden vier mit Österreich durchaus vergleichbare Länder von der Spitze des erwähnten Rankings lachen. Aber das alles scheint hier niemanden zu stören, geschweige denn auf den Plan zu rufen. In der Genügsamkeit liegt unsere große Stärke. Das kommt nicht von ungefähr. Wettbewerb samt Spitzenleistungen sind bestenfalls im Skisport erlaubt, der natürliche Anspruch des Österreichers ist das Befriedigend. Jeder Schüler weiß das. Nur keine Wellen schlagen, weder als „Leistungsschwein“ noch als „Versager“ auffallen, lieber im Mittelfeld unsichtbar bleiben.
Dieses Modell der Mittelmäßigkeit scheint auch gut zu funktionieren. Der Wohlstand in diesem Land ist nicht nur ein sehr hoher, sondern auch ein sehr breiter. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist eine der höchsten der Welt, kaum wo in der industrialisierten Welt wird früher in Pension gegangen als in Österreich. Der Sozialstaat hält jedem internationalen Vergleich stand, und mehr als die Hälfte der Wertschöpfung wird jenseits der Staatsgrenzen erzielt. Womit es um die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes nicht so schlecht bestellt sein kann, magere Platzierungen in diversen Rankings hin oder her.
Warum also etwas ändern? Zumal uns die Freunde der „Modern Monetary Theory“ ja gerne erklären, dass der Wohlstand neuerdings gefahrlos zu drucken ist.
Der Staat punktet vor allem mit hohen Sozialleistungen.
Die Finanzminister übernehmen die Herrschaft über das Geld und melden den Bedarf kurzerhand den ihnen unterstellten Notenbanken, die den Flieder aus dem Nichts herbeizaubern. Inflation ist kein Thema, ein nationaler Weisenrat steuert die Auslastung jeder einzelnen Branche, und wir leben glücklich und wohlhabend bis ans Ende unserer planwirtschaftlich organisierten Tage.
Wer der Erzählung dieser „Magic Monetary Theory“ skeptisch gegenübersteht, wird von den diversen Standortrankings einigermaßen beunruhigt sein. Und sich fragen, was Länder wie die Schweiz, Schweden, Dänemark und die Niederlande besser machen als Österreich. Auffallend ist, dass Österreich nur in einer einzigen Kategorie die Top 10 erreicht: im Bereich „Gesundheit und Umwelt“ sowie mit der hohen Produktivität seiner Unternehmen. Der Staat zieht das Land aber in so gut wie allen Kriterien nach unten. Österreichs Wirtschaft ist also nicht wegen des Staates so leistungsfähig, sondern trotz des Staates.
Hinzu kommt, dass die Regierungen der führenden Länder ihre staatlichen Systeme modernisiert und wetterfest gemacht haben. Die Schweiz hat eine Schuldenbremse eingeführt, die dafür sorgt, dass nur in wirtschaftlich schlechten Jahren mehr ausgegeben als eingenommen wird. Dasselbe trifft auf Schweden zu, das pro Kopf nur halb so hohe Staatsschulden ausweist wie Österreich. Zudem hat das einstige skandinavische Vorbild sein Pensionssystem saniert, während hierzulande jedes Jahr über 20 Milliarden Euro im staatlichen Rentensystem fehlen. Sie müssen aus dem laufenden Budget zugeschossen werden.
Die Niederlande glänzen mit einem digitalisierten Bildungssystem, während in Dänemark die digitale Gesundheitsakte längst Realität ist. Zudem hat die sozialdemokratisch geführte Regierung vor Jahren den Arbeitsmarkt flexibilisiert. Arbeitssuchende müssen rasch eine offene Stelle annehmen, um nicht die staatliche Unterstützung zu verlieren. Zudem haben die Dänen das Doppelte der jährlichen Wirtschaftsleistung in der betrieblichen und privaten Pensionsvorsorge liegen. Weshalb dort auch höchst gelassen auf die Überalterung der Bevölkerung reagiert wird. Hätte es Österreich genauso gemacht, würden heute 800 Milliarden Euro in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge warten. Tatsächlich sind es keine 30 Milliarden Euro. Die nächste Krise in Österreich wird die Krise der Altersvorsorge sein. Aber auch das scheint niemanden zu beunruhigen.
Vielleicht böte der Rückblick auf die vergangenen 18 Monaten der Regierung ja die ideale Gelegenheit dazu, ein paar grundlegende Dinge anders zu machen. Ein guter Start wäre eine kleine Fact-Finding-Reise in die Top-4-Länder. Auch dort wütete Corona, auch dort sind die Steuern nicht gerade niedrig, aber die Gegenleistung des Dienstleisters Staat ist eine deutlich höhere. Da könnte sich die Regierung einiges abschauen. Etwa, wie ein Land in die Gruppe der Top 5 zu führen wäre. Ohne dabei besonders aufzufallen.