Franz Schellhorn: Gebremste Schuld
Ohne Schulden wäre der Massenwohlstand von heute undenkbar. Private Haushalte verschulden sich, um ein eigenes Heim zu erwerben, das sie im Lauf ihres Arbeitslebens abzahlen. Unternehmen leihen sich Geld, um eine Geschäftsidee möglichst rasch umzusetzen und schneller als die Konkurrenz zu sein. Staaten wiederum brauchen enorme Mittel, um öffentliche Infrastrukturprojekte realisieren und in Krisenjahren anfallende Budgetdefizite finanzieren zu können. Das Problem dabei: Österreich verschuldet sich immer, selbst in Jahren der Hochkonjunktur. Bleiben die Zinsen in der Nähe von null, ist das nicht weiter schlimm, steigen sie, haben wir ein Problem. Und zwar ein gewaltiges, wie etwa Italien zeigt.
Mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und NEOS soll nun eine Schuldenbremse in Verfassungsrang beschlossen werden, um die Sache irgendwie in den Griff zu kriegen. Der Aufschrei darüber ist groß, vor allem jener der Arbeiterkammer (AK). Aus deren Sicht sind Schuldenbremsen ein schwerer Fehler, weil sie Investitionen in die öffentliche Infrastruktur ebenso in Gefahr brächten wie den Bau neuer Wohnungen, Kindergärten, Schulen und Pflegeeinrichtungen. Könne sich Österreich nicht mehr ungebremst verschulden, drohe uns allen ein Leben in Not und Elend.
Warnungen dieser Art sind freilich heillos übertrieben. Allein schon deshalb, weil Österreich ja längst eine Schuldenbremse hat. Sie greift aber nicht, was natürlich ganz im Sinne ihrer politischen Erfinder ist. Was wiederum zeigt: Eine Schuldenbremse ist eben per se weder gut noch schlecht, es kommt einzig und allein darauf an, wie sie konstruiert ist. Der Verfassungsrang ist nur wichtig, um sie nicht so leicht wieder lockern zu können.
Wer nun meint, Staaten würden sich mit Schuldenbremsen der eigenen Zukunft berauben, der sollte ehestmöglich eine „Fact finding mission“ in die Schweiz oder nach Schweden antreten. Insbesondere Stockholm wäre ein heißer Tipp, dort könnten sich die Arbeiterkämmerer von ihren Genossen ausführlich erklären lassen, wie Sozialdemokraten eine funktionstüchtige Schuldenbremse einrichten. Zerbröselnde Infrastruktur? Einstürzende Wohlfahrtsstaaten? Fehlende Mittel für den Klimaschutz? Davon ist weit und breit nichts zu sehen, ganz im Gegenteil. Beide Länder glänzen mit ausgeglichenen Staatshaushalten, bestens ausgebauten Sozialsystemen, moderner Infrastruktur, hohen Umweltstandards und niedrigen Schuldenständen.
Der Staat gibt über sechs Mal mehr Geld für den Konsum aus als für Investitionen.
Das ist nicht zwangsläufig das Ergebnis von Schuldenbremsen, vielmehr sind Schuldenbremsen das Ergebnis eines verantwortungsbewussten Umgangs mit fremdem Geld. In den genannten Ländern ist es selbstverständlich, dass in wirtschaftlich guten Jahren Überschüsse abfallen, so wie es in diesen Ländern ebenfalls selbstverständlich ist, die kalte Progression abzuschaffen, staatliche Strukturen laufend zu modernisieren, in die Zukunft des Landes zu investieren und den Umweltschutz nicht zu vernachlässigen.
Während es hierzulande völlig selbstverständlich ist, dass der Bundeshaushalt auch in einem Boomjahr wie 2018 mit einem fetten Minus abschließt. Aber nicht deshalb, weil der Staat so viel Geld in die Zukunft seiner Bürger investiert hätte, sondern weil die öffentliche Hand zu viel konsumiert hat. Die Republik gibt über sechs Mal mehr Geld für den Staatskonsum aus als für die öffentlichen Investitionen. Jahr für Jahr fließt das Geld der Bürger und Gläubiger ohne nennenswerten Widerstand in ineffiziente Strukturen, in Gehälter für das heillos aufgeblähte Staatswesen und die soziale Sicherheit, allen voran in die Pensionen.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass das mit einer Schuldenbremse nicht wirklich besser würde. Dass die heimischen Regierungen öffentliche Investitionen noch weiter zurückfahren, um noch mehr Geld in den Staatskonsum stecken zu können, etwa um in Vorwahlzeiten die Pensionen kräftig zu erhöhen. Da ist was dran. Allerdings besteht diese Versuchung auch in Ländern, die griffige Schuldenbremsen haben. In Schweden werden Budgetüberschüsse aber nicht zur Wählerbestechung eingesetzt, sondern zur Rückzahlung von Staatsschulden, selbst von sozialdemokratischen Finanzministern. Das liegt wie gesagt nicht nur an der Schuldenbremse, sondern vor allem an der politischen Kultur.
So wie es an der politischen Unkultur in Österreich liegt, dass im laufenden Wahlkampf sündteure Segnungen für einzelne Wählergruppen beschlossen werden, obwohl sich die wirtschaftliche Lage bereits für jedermann sichtbar verschlechtert.
Was es braucht, ist ein radikaler Kulturwandel. Nicht nur bei Politikern, sondern auch bei den permanent nach neuen staatlichen Segnungen rufenden Interessensvertretern und Bürgern. Wir Österreicher sollten uns etwas von den eidgenössischen und nordischen Selbstverständlichkeiten aneignen. Und zur Unterstützung dieses höchst notwendigen Wandels sind Schulden- und vor allem Ausgabenbremsen unverzichtbare Begleiter.
Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.