Franz Schellhorn: Nur nicht hudeln!
Krisen sind Zeiten der Erkenntnisse. Das hat sich vermutlich auch Vizekanzler Werner Kogler gedacht, als er vor gut einer Woche dem Onlinedienst des ORF erklärte: „Die Neoliberalen haben jetzt einmal Sendepause.“ Damit hat er nicht ganz unrecht. Viel zu sagen hatten die Neoliberalen in diesem Land ja nie. Auch die klassisch Liberalen nicht, was durchaus zu bedauern ist. Aber darum ging es Kogler nicht. Was er sagen wollte: dass der Staat in dieser von einer Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise seine wahre Stärke zeige. Es sei nicht die Zeit für Einsparungen oder gar das Erzielen von Budgetüberschüssen, vielmehr müsse der Staat jetzt das öffentliche Geld mit beiden Händen ausgeben, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise irgendwie abzufedern. Das ist zwar ungefähr so unumstritten wie die Einschätzung, dass im Sommer mehr Menschen im Garten sitzen als im Winter. Aber es ist doch schön, dass der grüne Vizekanzler der Republik mitten in der größten Gesundheitskrise noch die Zeit für ideologische Spitzfindigkeiten findet.
Die Bevölkerung dürfte allerdings an der Beantwortung ganz anderer Fragen interessiert sein. Etwa an jener, wann das von den Grünen geführte Gesundheitsministerium endlich mit den Impfungen in die Gänge zu kommen gedenkt. Schließlich ist dem Großteil des Landes nicht entgangen, dass es Österreich auffallend gemächlich angeht und angesichts mutierter Virusvarianten so etwas wie Gefahr in Verzug zu erkennen ist.
Berichte aus anderen Ländern verstärken diesen Eindruck. Während das in seiner Größe mit Österreich vergleichbare Israel bereits 1,8 Millionen Menschen geimpft hat und schon für Anfang März die Herdenimmunität anstrebt, wurden in Österreich gerade einmal 53.000 Menschen gegen das Coronavirus immunisiert. Aber auch das ist nicht genau zu sagen, über exakte Impfdaten verfügt ein reiches Land wie Österreich nicht, deshalb muss geschätzt werden. Die SatirePlattform „Die Tagespresse“ darf aus dem Vollen schöpfen: „Nach viel Kritik präsentierte die Regierung endlich einen dreistufigen Impfplan: Homma ned. Geht ned. Und schlussendlich: Gibt’s ned. Gesundheitsminister Rudolf Anschober kündigt eine unverzügliche Umsetzung ohne weitere Verzögerungen an.“
Die Sache ist leider nur begrenzt amüsant. Vor allem für die älteren Menschen nicht, die sehnlichst auf einen Impftermin warten. Gesundheitsminister Rudi Anschober verteidigte sich am vergangenen Mittwoch während einer Debatte im Plenum des Nationalrats damit, dass das Tempo der Impfung in Österreich allein durch die Zulassung und die Lieferung von Impfstoffen bestimmt werde. Im Vergleich mit Israel mag das stimmen, zumal das Land schon im Sommer mit BioNtech und Moderna auf jene beiden Impfstoffe vertraute, die sich letztlich auch durchgesetzt haben. Zudem war Israel bereit, weit mehr zu zahlen als die europäischen Länder. Wofür angesichts der enormen Kosten einer heruntergefahrenen Wirtschaft auch viel spricht.
Interessant aber ist, dass neben Israel auch Länder mit denselben Zuteilungen von Impfstoffen deutlich besser dastehen als Österreich. Dänemark hat innerhalb von nur zwei Wochen alle Bewohner von Alten- und Pflegeheimen gegen das Coronavirus immunisiert. Also genau in jener Zeit, in der Österreich bereits die erste Impfpause eingelegt hat. Warum? Damit in allen Altersheimen gleichzeitig geimpft werden könne und genug Zeit für Aufklärungsarbeit bleibe. Als ob in Dänemark alle Älteren ungefragt geimpft worden wären. Dabei war es ja der österreichische Gesundheitsminister, der schon im Sommer einen Impfstoff für Jahresende 2020 erwartet hat. Anschober hat recht behalten – nur hat sich ausgerechnet das von ihm geführte Ministerium nicht darauf vorbereitet, dass die Pharmaindustrie tatsächlich einen Impfstoff bis dahin liefert. Und als der Impfstoff bereits angeliefert wurde, hatte offensichtlich der Weihnachtsurlaub Priorität. Menschlich verständlich, aber in einer Pandemie nicht akzeptabel.
Die Länder Israel und Dänemark trennt zwar eine ganze Menge, aber sie weisen auch zwei entscheidende Gemeinsamkeiten auf. Erstens impfen beide Staaten in zentralen Stellen, und zweitens sind deren Gesundheitssysteme stark digitalisiert. Während sowohl Dänemark als auch Israel über eine digitale Krankenakte verfügen, dominiert hierzulande die Zettelwirtschaft. Jeder noch so kleine Versuch der Veränderung wurde in den vergangenen Jahren erfolgreich mit der Datenschutzkeule niedergeknüppelt. Das rächt sich jetzt bitter. Die Digitalisierung wird nicht als Chance verstanden, sondern wie eine abzuwehrende Naturkatastrophe behandelt.
Wenn Werner Kogler also schon den starken Staat preist, dann sollte er auch dazusagen, welchen er damit meint. Der österreichische kann es nicht sein. Und wenn das Geld der Bürger schon mit beiden Händen ausgegeben wird, sollte die Digitalisierung des österreichischen Gesundheitssystems ganz oben auf der Liste stehen. Krisen sind schließlich Zeiten der Erkenntnis.