Franz Schellhorn: Drucken wir das Problem doch einfach weg!
Als sich vor etwas mehr als elf Jahren die Finanzkrise über den Globus auszubreiten begann, war den politischen Krisenmanagern eines klar: Für ideologische Debatten blieb keine Zeit, die Weltwirtschaft musste gerettet werden. Die Notenbanken öffneten die Geldschleusen so weit es nur ging, um die Banken mit ausreichend Liquidität zu versorgen. Die existenzielle Gefahr war nach kurzer Zeit gebannt, Politiker aus aller Welt konnten zufrieden zu Protokoll geben, „die Märkte“ wieder einmal vor sich selbst gerettet zu haben.
Auch wenn sich die Lage immer mehr beruhigte, wurden die Geldschleusen offen gehalten. Immerhin wurde noch jede Menge Geld zur Beseitigung der kolossalen Schäden gebraucht. Die Finanzkrise riss gewaltige Löcher in die öffentlichen Haushalte, die ohnehin schon hohen Schuldenpegel schnellten im Zuge von Bankenrettungen und steigender Arbeitslosigkeit noch einmal in die Höhe. Die wahre Dramatik zeigt sich ja immer erst nach der Katastrophe.
Geblieben sind zwei zentrale Lehren. Erstens: Banken dürfen nie mehr eine derartige Größe erreichen, dass sie – einmal in Schieflage geraten – ganze Volkswirtschaften zum Einsturz bringen können und deshalb mit Steuerzahlergeld aufgefangen werden müssen. „Too big to fail“ musste ein Ende haben, wofür staatliche Behörden mit verschärften Regularien zu sorgen hatten. Zweitens: Die Staaten brauchen nach Ausbruch einer Krise ausreichend Zeit, um ihre Budgets wieder in Ordnung zu bringen, ohne die öffentlichen Ausgaben kürzen zu müssen. Deshalb habe die Geldpolitik im Krisenfall länger gegenzusteuern. „What-ever it takes“, wie das EZB-Chef Mario Draghi so offenherzig formulierte.
Wie sieht es nun nach elf Jahren Krisenpolitik aus? Mit der Deutschen Bank und der Commerzbank stehen die zwei Branchenriesen des wirtschaftlich größten Eurolandes vor der Fusion. Schon jede der beiden Banken für sich allein gesehen wäre „too big to fail“. Damit nicht genug, die Nullzinspolitik ist von der Krisenerscheinung zum anleitenden Handlungsprinzip der Geld- und Fiskalpolitik geworden. Selbst in Zeiten der Hochkonjunktur werden die Zinsen künstlich im Keller gehalten, weil niemand den Ausgang aus der geldpolitischen Sackgasse kennt. Während wirtschaftlich starke Länder längst höhere Zinsen zahlen könnten, brächten sie Staaten wie Italien oder Frankreich an den Rand des Abgrunds.
Viele Regierungen haben die Zeit niedriger Kapitalkosten nämlich nicht so genutzt, wie sich die EZB das vorgestellt hat: Statt die Haushalte zu konsolidieren und das billige Geld zur Finanzierung der Anlaufkosten struktureller Reformen zu nutzen, wurde es mit beiden Händen ausgegeben, um die Wähler bei Laune zu halten. Das ist menschlich. Wer riskiert schon gerne seine politische Karriere, wenn das in den Kellern der EZB schlummernde öffentliche Geld nur darauf wartet, abgeholt und unter die Leute gebracht zu werden?
Wer riskiert schon seine politische Karriere bei so viel Gratisgeld?
Wer nun meint, dass das so nicht ewig weitergehen könne, wird sich möglicherweise schon bald wundern, was alles möglich ist. In den USA sorgt nämlich gerade eine neue Art der Geldpolitik für Furore. Die Sache nennt sich „Modern Monetary Theory“, die vor allem von der neuen Hoffnung der Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez, populär gemacht wird. Die „progressive“ Linke ruft die USA dazu auf, endlich mehr Schulden zu machen, um öffentliche Investitionen und Sozialausgaben zu finanzieren.
Die dadurch entstehenden Budgetdefizite seien nicht weiter schlimm, sie sollten durch das Drucken von Geld gedeckt werden. Staaten sollten sich einfach bei den Notenbanken verschulden. Einzige Bedingung für das Funktionieren der neuen geldpolitischen Wundermaschine: Die spendierfreudigen Staaten müssen über eine eigene Währung verfügen. Das dürfte sich Nicolás Maduro auch gedacht haben, als er damit begonnen hat, die wirtschaftlichen Probleme Venezuelas „wegzudrucken“. Im einst gefeierten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ fehlt es heute am Nötigsten, die breite Masse sucht im Müll nach Essbarem, die Teuerungsrate liegt bei unvorstellbaren zehn Millionen Prozent.
Nun will niemand Venezuela mit den USA oder mit Europa vergleichen. Aber selbst in unseren Breiten mehren sich die Anzeichen, dass der geldpolitische Kurs zu schweren Verwerfungen führt: rasant steigende Finanzvermögen für das oberste Promille der Bevölkerung, rasant steigende Kosten für die breite Masse. Auch wenn uns von vielen Anhängern der lockeren Geldpolitik vor Kurzem noch Deflationsangst eingejagt wurde, gehen die Preise in zwei zentralen Bereichen des täglichen Lebens seit Jahren kräftig nach oben: Wohnen und Nahrung. Weil immer mehr von dem billigen Geld in diese beiden Bereiche strömt, um dort lukrativ veranlagt zu werden.
Es ist wohl nur noch eine Frage von Stunden, bis die ersten Politiker von links Entwarnung geben. Alles kein Problem, der Staat baut einfach Wohnungen und verteilt günstige Nahrung. Das dafür benötigte Geld wird einfach gedruckt – Problem gelöst.
Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.