Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Streiken die Eisenbahner für uns alle?

Beschäftigte in der Privatwirtschaft müssen sich mit knapp sieben Prozent Gehaltserhöhung zufriedengeben, das ÖBB-Personal pocht auf zwölf Prozent.

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Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Irgendwie scheint die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht so recht zu wissen, was sie vom Streik der Eisenbahner halten soll. Haben wir es hier mit einem berechtigten Anliegen der 43.000 Beschäftigten zu tun, oder wird leichtfertig der soziale Friede aufs Spiel gesetzt? Erleben wir gar den Anfang vom Ende jener Sozialpartnerschaft, auf die viele Menschen in diesem Land so große Stücke halten? Während manche Pendler empört auf die Streiks reagierten, scheint es die Mehrheit der Bevölkerung anders zu sehen. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. 

Erstens ist es zwar völlig nachvollziehbar, dass die Gewerkschaft die Kaufkraft der Eisenbahner in Zeiten galoppierender Inflationsraten sichern will. Das ist schließlich ihre Kernaufgabe, und im Notfall kann sie auch zur Niederlegung der Arbeit aufrufen. Dass aber gerade die Eisenbahner die höchsten Lohnforderungen aller Beschäftigten stellen und gleich mit einem 24-Stunden-Streik vorpreschen, kommt doch überraschend. Während die im vollen Wettbewerb stehenden Beschäftigten im Privatsektor mit knapp sieben Prozent höheren Löhnen rechnen dürfen, fordern die großteils vor der Kündigung geschützten Beschäftigten der ÖBB um zwölf Prozent mehr Lohn, für Niedrigstverdiener sind es sogar 25 Prozent. Diese Reallohnerhöhungen seien den Eisenbahnern von Herzen gegönnt. Bezahlen wird sie aber nicht die ÖBB-Führung, sondern die Bevölkerung. Entweder über höhere Ticketpreise oder als Steuerzahler über höhere Verlustabdeckungen, falls die Staatsbahn die Lohnabschlüsse nicht in den Preisen unterbringen kann. Vermutlich wird es eine Kombination aus beidem sein. 

Zweitens wurde hier ein Unternehmen bestreikt, das nicht gerade zu den Gewinnmaschinen des Landes zählt. Die ÖBB erzielten vergangenes Jahr knapp 4,3 Milliarden Euro Umsatz, bei Aufwendungen von 6,3 Milliarden Euro. Im normalen Wirtschaftsleben würde ein Unternehmen also zwei Milliarden Euro Verlust schreiben und nicht mehr lange durchhalten. Nicht so die ÖBB, sie schreiben Gewinne, weil die Steuerzahler den Staatsbahnen jährlich Milliarden Euro zuschießen müssen. Die schwache Ertragskraft der Bundesbahnen lässt sich auch an den hohen Schulden von 28 Milliarden Euro ablesen, also dem Siebenfachen (!) des Jahresumsatzes. Niemand wird deshalb von den Eisenbahnern verlangen, auf angemessene Lohnabschlüsse zu verzichten. Viele Beschäftigte leisten unter teilweise harten Bedingungen Enormes. Gleichzeitig wird aber auch niemand aus den Geschäftszahlen der Bundesbahnen großen Spielraum für überdurchschnittlich kräftige Lohnerhöhungen herauslesen können. 

Die ÖBB sind mit 28 Milliarden Euro verschuldet.

Drittens scheinen die Lohnverhandlungen auf den Kopf gestellt zu werden. Nicht die voll im Wettbewerb stehenden Branchen geben das Tempo vor, sondern hoch subventionierte Staatsbetriebe, die vor den stürmischen Winden des freien Marktes geschützt sind. Wenn der Staatssektor die Lohnführerschaft übernimmt, wird das für alle nicht staatlichen Unternehmen weitreichende Folgen haben. Sie müssen mit hohen Abschlüssen nachziehen und diese auf den Märkten verdienen. Das Problem dabei: Mehr als die Hälfte unseres Wohlstands werden jenseits der Staatsgrenzen erwirtschaftet. Dort treffen heimische Unternehmen auf Konkurrenten aus Regionen mit niedrigeren Kosten, niedrigeren Inflationsraten und dementsprechend auch niedrigeren Lohnabschlüssen. Die heimische Wirtschaft würde unweigerlich unter noch höheren Druck kommen. Für Unternehmen mit hohen Produktivitätssteigerungen wird das machbar sein, alle anderen werden Umsätze verlieren und Jobs streichen. Insofern ist die Behauptung der Gewerkschafter, wonach alle in diesem Land etwas von den hohen Lohnabschlüssen der Eisenbahner hätten, nicht zu halten.  

Viertens ist der dogmatische Widerstand des ÖGB gegen Einmalzahlungen nur noch schwer zu verstehen. Es stimmt zwar, dass die Beschäftigten durch Einmalzahlungen im Lauf ihrer Karriere viel Geld verlieren können, weil diese Zahlungen eben nur ein Mal und nicht jährlich geleistet werden. Wir befinden uns aber in einer außergewöhnlichen Situation. Getrieben wird die Teuerung durch gerissene Lieferketten und hohe Energiekosten. Wir haben es hier also mit Sonderkosten zu tun. Über die Lohnabschlüsse in den Kollektivverträgen werden diese aber dauerhaft mitgeschleppt. Sie fallen auch in jenen Jahren an, in denen die Lieferketten wieder geflickt und die Energiekosten wieder gesunken sein werden. Das freut zwar alle Beschäftigten, schwächt die Konkurrenzfähigkeit des Standorts Österreich aber weiter. Es wäre besser, diese außertourlich anfallenden Kosten mit Einmalzahlungen abzufangen, anstatt die Kosten für den Arbeitgeber auf Dauer zu erhöhen. Bleibt die Inflation hoch, können Einmalzahlungen jedes Jahr aufs Neue ausverhandelt werden. 

Das alles sollten die Österreicher bedenken, wenn sie das nächste Mal gefragt werden, ob sie Verständnis für die Eisenbahner haben. Die zweite Streikwelle könnte bald anrollen.