Kolumne

Warum die Armen einfach nicht reicher werden

Die Ausgaben des Staates für die soziale Sicherung haben sich innerhalb von 20 Jahren verdoppelt. Das viele Geld scheint aber jenen nicht zu helfen, für die es gedacht ist.

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Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Die Caritas schlägt Alarm: Viele Menschen könnten sich keine Lebensmittel mehr kaufen, weil sie von den steigenden Energiekosten erdrückt werden. Einer wachsenden Zahl von Familien fehle zudem das Geld, um ihren Kindern die Hefte und Stifte für den Schulstart zu kaufen. Der Staat müsse dringend eingreifen, etwa über einen Preisdeckel für Bildungsausgaben, wie Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner fordert. Auch abseits der Caritas werden die Rufe nach weiteren Hilfsmaßnahmen immer lauter. Vertreter aller Parteien appellieren immer eindringlicher an den Staat, das Leid der Bevölkerung endlich entschlossen zu lindern. 

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, wir lebten in einem kaltherzigen Land, in dem die Starken das Leben in vollen Zügen genießen, während die Ärmsten der Armen rücksichtslos ihrem Schicksal überlassen werden. Sollen sie halt Kuchen essen. Österreichs Sozialminister heißt aber weder Marie Antoinette noch Ebenezer Scrooge, sondern Johannes Rauch. Und wir vegetieren nicht im Manchester des 19. Jahrhunderts dahin, sondern leben im vermutlich großzügigsten Wohlfahrtsstaat, den es auf diesem Planeten zu finden gibt. Dieser hat im Vorjahr 132 Milliarden Euro für die soziale Absicherung der Bevölkerung ausgegeben. Das ist ziemlich genau ein Drittel der Wirtschaftsleistung und in absoluten Zahlen mehr als doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Und das bei einer Inflationsrate in diesem Zeitraum von 45 Prozent. Ungeachtet der stark gestiegenen Ausgaben wird täglich vor der Verarmung der Bevölkerung gewarnt. 

Österreich hat mittlerweile die dritthöchsten Staatsausgaben der EU. 

Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder sind diese Warnungen reichlich übertreiben, weil es hierzulande eben zu viele Organisationen gibt, die in jeder Lebenslage die drohende Verarmung der Bevölkerung beklagen. Oder der österreichische Sozialstaat gehört nicht nur zu den großzügigsten der Welt, sondern auch zu den ineffizientesten. Denn das Geld geht offensichtlich nicht an jene, die es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen. Zweifelsfrei sagen lässt sich, dass der österreichische Sozialstaat das Geld großflächig mit der Gießkanne an alle verteilt. Das ist verdammt teuer, erhöht aber die Wahlchancen von Politikern, die sich gerne als Vertreter der sozialen Gerechtigkeit inszenieren und nahezu das gesamte Elektorat für bedürftig erklären. 

Nach 50 Jahren staatlicher Umverteilung gibt es in Österreich kaum noch jemanden, dem aus Sicht der Politik nicht dringend geholfen werden muss. Selbst einkommensstarke Haushalte werden bei der Armutsbekämpfung nicht vergessen. Gleichzeitig erreichen viele Hilfen die tatsächlich Bedürftigen nicht. Einerseits, weil diese Menschen für den Staat nicht greifbar sind, weshalb Organisationen wie die Caritas wichtig sind. Andererseits, weil der Staat zwar Hilfen beschließt, deren Auszahlung derselbe Staat aber nicht hinbekommt – auch wenn die Verwaltung alle nötigen Daten der Bürger kennt. 

Das ziellose Geldverteilen beschränkt sich nicht nur auf die soziale Wohlfahrt. Es hat System. Das förderfreudige Österreich liegt mit Staatsausgaben von 56 Prozent der Wirtschaftsleistung innerhalb der EU auf dem dritten Platz. Nur Frankreich und Griechenland sind noch spendabler. Die Staatsausgaben wurden innerhalb der vergangenen 20 Jahre von 113,3 Milliarden Euro auf 225,7 Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Getrieben wurden die öffentlichen Ausgaben zuletzt von den üppigen Corona-Hilfen für die Unternehmen und den großzügigen Ausgaben für die Kurzarbeit. Österreich lag mit seinen hohen Staatsausgaben aber auch schon vor Corona im internationalen Spitzenfeld.

Dennoch haben es angesehene Wohlfahrtsstaaten wie Dänemark und Schweden trotz Corona geschafft, ihre Staatsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung in den vergangenen 20 Jahren zu senken. Sozialdemokratische Regierungen haben die Zeichen der Zeit erkannt und verantwortungsbewusst gegengesteuert: Die beiden skandinavischen Länder hatten allein zwischen 1995 und 2019 mehr Budgetüberschüsse als Österreich seit Ende des Zweiten Weltkrieges. In Schweden arbeiten 78 Prozent der 55- bis 64-Jährigen, in Dänemark 71 Prozent. In Österreich sind es 55 Prozent, gleich viele wie in Italien und Frankreich.

Hierzulande wird aber immer noch so getan, als wäre die Rente mit 60 ein soziales Grundrecht, das es zu schützen gilt. Deshalb wird ein großer Teil der Sozialausgaben auch für die flächendeckende Frühpensionierung sehr fitter Jungsenioren verbraten. 

Österreich sollte sich nicht an Frankreich und Italien orientieren, sondern an Dänemark und Schweden. Doch darüber wird im österreichischen Parlament nicht geredet. Sondern ausschließlich darüber, wie sich noch mehr Geld an möglichst breite Bevölkerungsschichten verteilen ließe, um es anschließend von einer immer kleiner werdenden Gruppe an Bürgern über höhere Steuern wieder einzukassieren. Für diese simple Übung braucht aber niemand 183 Abgeordnete und 14 Regierungsmitglieder.

Vielleicht sollte die Politik mit dem Sparen bei sich selbst anfangen.