Franziska Tschinderle: Die Kunst, Frauen zu hassen

Warum es bei der Debatte um Yung Hurn um viel mehr geht als nur um „Wichse im Gesicht“.

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Ich habe die letzte Woche mit einer unangenehmen Tätigkeit verbracht und mich durch frauenfeindliche Texte im Deutschrap geklickt. Das ist nicht schön. Aber um eine aufrichtige Debatte führen zu können, müssen wir wissen, worum es überhaupt geht.

„Die Bitches heute wollen Jungfrau bleiben. Zwei Optionen: Arsch oder Mund auf, Kleine.“ – Kollegah & Farid Bang. 12 Millionen Aufrufe auf YouTube.

„Baller der Alten die Drogen ins Glas. Hauptsache Joe hat seinen Spaß.“ – Bonez MC & Gzuz, 6,5 Millionen Aufrufe.

„Eine Frau bleibt auf Ewigkeit ein Gegenstand.“ – Finch Asozial & MC Bomber, 3,5 Millionen Aufrufe.

„Bring deine Alte mit. Sie wird im Backstage zerfetzt. Ganz normal. Danach landet dann das Sex-Tape im Netz.“ Gzuz, 72 Millionen Aufrufe.

„Schau, wie schön blau deine Augen sind. Timi hat dich mit der Faust geschminkt“ – Alligatoah, 9,2 Millionen Aufrufe.

Yung Hurn, gebürtig aus Wien, rappt „nur“ über Frauen, die „Wichse im Gesicht“ haben. Fast schon eine „Lappalie“ im Vergleich zu dem, was der Rest der Szene von sich gibt. Viele in Österreich nehmen das zum Anlass, die Debatte ins Lächerliche zu ziehen. Kommen die Feministinnen jetzt mit der Moralkeule eines keuschen Priesters daher? Seit wann so spießig? Und überhaupt: Gipfelt dieser Shitstorm eines Tages im Meinungsdiktat?

Es gibt eine Frage, die mir in den letzten Tagen kein einziger Mann gestellt hat: Wie geht es dir eigentlich damit, wenn du als Frau solche Texte hörst?

Stattdessen passiert etwas Eigenartiges. Selbst die linke Wochenzeitung „Falter“ reiht sich in den Chor ein. Plötzlich wird nicht mehr über die Problematik per se (Frauenhass / Sexismus im Rap) geredet, sondern über etwas völlig anderes (politische Korrektheit).

Seit wann ist es politisch korrekt, wenn man kritisiert, dass Rapper damit prahlen, wie sie eine Frau Backstage vergewaltigen? Seit wann ist man spießig, wenn man es problematisch findet, wenn ein Rapper es feiert, sein Opfer mit K.o-Tropfen gefügig zu machen?

Hier geht es nicht nur um Yung Hurn. Der Wiener ist ein kleines Mosaiksteinchen in einer Szene, die ein strukturelles Problem mit Sexismus hat. Eine Szene, in der ein Mann als Macker gilt, wenn er darüber singt, wie er eine Frau zum Sex zwingt.

Ich will niemanden in den Ruin „canceln“ oder die Kunstfreiheit abschaffen. Ich will etwas sehr Fundamentales, von dem ich glaubte, dass es für meine Generation selbstverständlich geworden ist: Respekt. Und so viel ist klar: Der wird Frauen in der Rap Szene nicht entgegengebracht. Gesa Birkmann von der deutschen Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ weiß das. Sie hat Frauen in ein Studio eingeladen und sie gebeten, die oben zitierten Textpassagen vorzulesen. Die Message: Hört auf, Frauen zu hassen. Das war schon zu viel verlangt. Fler, einer der in der Kampagne zitierten Rapper, rastete dermaßen aus, dass er auf Instagram ein Bild seiner Kritikerin veröffentlichte und ein Kopfgeld auf sie aussetzte: „Wer die Nutte ranbringt 2.000 €.“ Privatperson und Kunstfigur sind in der Szene oft schwer voneinander zu trennen.

Rap lebe eben von der Überhöhung, meinte diese Woche ein Kollege zu mir. Ein anderer merkte an, dass schon ein Frank Zappa im Song „Bobby Brown“ in die Rolle eines Frauenhassers geschlüpft sei, und zwar bereits Ende der Siebzigerjahre. Danke für diesen Exkurs, meine Herrschaften, aber das Argument, dass es das schon immer gab, macht doch nichts besser? Zappa mag polemisch über Frauenhass gesungen haben. Aber Gangstarap tut genau das nicht. Er feiert und zelebriert ihn regelrecht.

Es wirkt so, als hätten sich alle achselzuckend damit abgefunden. Anstatt zu sagen, was ist, wird gewarnt, was eventuell sein könnte. „Die Presse“ warnt vor dem Ende der Kunstfreiheit. Der „Falter“ spricht von einer „Kultur des Säuberns.“ Zur Erinnerung: Yung Hurn ist vergangene Woche aufgetreten.

Worüber niemand schreibt, ist, dass sich verbale Gewalt sehr real anfühlen kann. Keine Hassnachricht kommt ohne sexualisierte Gewalt aus. Wie Kunst fühlt sich das ehrlich gesagt nicht an. Insbesondere das Feuilleton müsste es besser wissen. Ihr seid es doch, die mitbekommen, was Backstage in der Szene abgeht oder in den Privatnachrichten auf Instagram. Ist die deutsche #MeToo-Diskussion im Hip-Hop spurlos an euch vorbeigezogen? Das „Ich habe über 20-mal nein gesagt“ von der Influencerin Nika Irani, die schwere Vorwürfe gegen den Rapper Samra erhob, der sie vergewaltigt haben soll. 

Vielleicht wischen viele Männer die Texte als „reine Provokation“ vom Tisch, weil sie in keinem Frauenkörper stecken. Der Weg zu einer echten Gleichberechtigung beginnt für mich dort, wo Männer anerkennen, dass sich unsere Lebensrealitäten unterscheiden.

Es ist nicht euer Körper, der da verbal „zerfetzt“ und wieder weggeworfen wird, als wäre er ein wertloser Gegenstand. Es ist unser Körper. Gewalt gegen Frauen ist Gewalt von Männern. In der Welt des Rap-Slang ebenso wie in der Realität.

Als Frau trägt man eine Last mit sich herum. Wenn man in einer dunklen Gasse nach Hause geht oder sein Bier unbeaufsichtigt an der Theke zurücklässt. Wenn man sich aus Angst vor Hass zu bestimmten Themen erst gar nicht äußert. Sexistischer Rap erinnert uns tagtäglich daran, dass diese Ungleichheit existiert – und festigt sie weiter. Hier rappt nicht nur eine Kunstfigur. Hier rappt das Patriarchat.

Nichts wird besser, wenn wir Yung Hurn „canceln“. Es gibt aber etwas, das uns als Gesellschaft voranbringt. Stellen Sie sich vor, all jene, die sich dieser Tage um die Kunstfreiheit sorgen und sich in kilometerlangen „Aber“-Argumentationsketten verrennen, würden stattdessen einen simplen Satz aussprechen: „Ich will nicht in einer Welt leben, in der so über Frauen gesprochen wird.“ Denn am Ende geht es hier nicht nur um das, was Kunst darf oder nicht, sondern um eine tiefgreifende Krise der Männlichkeit. Die Szene braucht eine Debatte darüber, dass es eben nicht „männlich“ ist, wenn ein Künstler darüber rappt, wie er eine Frau zum Sex zwingt. Battlerap lebt von der Konfrontation. Gehen wir ihr nicht aus dem Weg.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.