Franziska Tschinderle: Kein Urlaub wie damals
Was hat Backpulver am Strand mit dem Klimawandel zu tun? Mehr, als Sie vielleicht glauben.
In diesem Kommentar geht es um den permanenten Ausnahmezustand, mit dem wir leben gelernt haben. Um Brände, Überflutungen, Hitzewellen – und um Quallen. Beginnen wir bei den Nesseltieren.
Kürzlich fuhr ich auf Urlaub an die Obere Adriaküste. Ich komme hierher, seit ich ein kleines Kind war, habe hier laufen und schwimmen gelernt. Erinnerungen an eine schönere Zeit, als ich noch nicht wusste, dass es den Klimawandel gibt. Mittlerweile spielen sich hier apokalyptische Szenen ab.
Weil in der Provinz Udine Waldbrände tobten, riet mir eine Verwandte, eine Maske an den Strand mitzunehmen. Nicht wegen Corona, sondern wegen des Ascheregens. Touristen erzählen, wie sich plötzlich der Himmel verdunkelte und eine Feinstaubwolke über die Strände zog. Lokalzeitungen empfehlen, Backpulver an den Strand mitzunehmen, weil mehr giftige Quallen angeschwemmt werden als sonst. Wer Backpulver in einer Taucherbrille mit Wasser anrührt und die Pampe auf die Haut streicht, lindert den Schmerz.
Während andere Arten (und nicht zuletzt die Menschen) am Klimawandel zugrunde gehen, fühlen sich Quallen rundum wohl damit. Wenn es wärmer wird, vermehren sie sich rascher, praktischerweise verschwinden auch ihre Fressfeinde. Die Erderwärmung ist für Quallen eine riesengroße Party – und für den Tourismus eine gewaltige Katastrophe.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich höre in letzter Zeit ständig solche Geschichten.
Vieles ist nicht mehr so, wie es einmal war. Seen, in denen ich als Kind badete, sind plötzlich zu warm, um sich bei dieser Hitze abzukühlen. Flüsse, die immer glasklar waren, verwandeln sich in sandsteinfarbene Brühen, weil wegen der schweren Unwetter Muren abgehen und Bäume umstürzen. In Slowenien mussten wegen der Waldbrände Dörfer evakuiert werden.
Während der Neusiedler See auszutrocknen droht, leiden andere Gewässer unter dem Befall von Parasiten.
Warum setzt die Regierung das Thema Klimaschutz angesichts dieser ständigen Katastrophen nicht ganz oben auf die Agenda? Dabei sollte Klimaschutz gar kein parteipolitischer Hickhack sein, sondern eine globale Anstrengung über Ideologien und Staatsformen hinweg. Egal ob liberal, links oder erzkonservativ, egal ob Demokratie oder Diktatur: Dass die Erderwärmung eine unangenehme Tatsache ist, fällt mittlerweile allen auf. Die Aussicht, dass es immer schlimmer wird, macht Angst, ganz besonders den jungen Menschen, die es noch ein Weilchen länger auf dieser Erde aushalten dürfen und müssen.
2021 war der heißeste Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf Sizilien wurde ein neuer Hitzerekord gemessen: 48,8 Grad. Im Juli und August 2021 brannten im Mittelmeerraum 800.000 Hektar Fläche ab. Eine Flutkatastrophe in Deutschland forderte 180 Menschenleben.
Urlaub am Mittelmeer wird immer mehr zur Risikoabwägung. Wie viel Asche muss noch auf unsere Strände rieseln, wie viele Muren müssen Häuser unter sich begraben, wie viele Quallen die Meere bevölkern, bis sich die österreichische Regierung zu einem Klimagesetz aufrafft? Ohne Fahrplan kein Ziel. Ambitionierte Ziele werden, wenn überhaupt, nur auf EU-Ebene getroffen. Ab 2035 dürfen in der EU keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Verantwortliche Politik begreift den Green Deal der EU als Chance, nicht als Bevormundung. Der Status quo ist keine Option.
Damit Menschen ihr Verhalten ändern, braucht es Rahmen und wenn nötig Verbote. Emissionslimits, eine -Steuer, Sanktionen für Unternehmen, den Ausbau von erneuerbaren Energien, Subventionen für die Energiewende, eine Erhöhung der Mineralölsteuer. Stets, so scheint es, gibt es etwas Wichtigeres zu besprechen.
Ein Blick auf die Weltbühne zeigt: Wir erleben eine Häufung von Krisen: Corona, Ukraine-Krieg, Inflationskrise, Energiekrise. Dabei geht die schlimmste aller Krisen unter. Klimakrise ist jeden Tag. Und eigentlich hängt auch alles miteinander zusammen. Das zeigt der Fall Putin. Klimapolitik ist Geopolitik und umgekehrt. Wer erneuerbare Energien ausbaut, der hat mehr Handlungsspielraum im Umgang mit Diktatoren aller Art und muss sich nicht mit Getreidelieferungen erpressen lassen.
Der deutsche Journalist Bernd Ulrich nennt die Klimakrise mittlerweile nur noch die „Krise des Menschseins“. Ulrich – der seit fünf Jahren vegan lebt und kaum noch Auto fährt – schreibt im aktuellen Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ darüber, wie ihn das Nichtstun in der Krise zermürbt.
Im Text stellt er eine einfache Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht. Wann hat die Normalität aufgehört zu existieren? War es der Sommer, als der Fluss zum ersten Mal über die Ufer trat oder als die Aschewolke über den Strand zog? Manchmal frage ich mich, wie es den politisch Verantwortlichen gehen wird, wenn sie sich später an dieses Jahrzehnt zurückerinnern, in dem wir handeln hätten können. Spätestens dann müssen sie zugeben: Wir haben damals nicht zur Lösung beigetragen.
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