Frau Svazek macht Party
Man nenne mich einen Nerd, aber ich kann nicht anders: Wenn jemand mit einer Studie wedelt und wichtige Entscheidungen damit begründet, keimt in mir ein unbezwingbarer Impuls, der zur Frage drängt: Welche Studie? Wenn zum Beispiel, wie eben geschehen, Marlene Svazek die Aufhebung des Tempo-100-Limits auf einem Abschnitt der Tauernautobahn ankündigt und behauptet, eine Studie erzwinge diesen Schritt geradezu, will ich wissen: Was steht in dem Papier, mit dem Salzburgs stellvertretende Landeshauptfrau (FPÖ) das Aushebeln der schadstoffabhängigen Geschwindigkeitsbeschränkung rechtfertigt, volkstümlich „Lufthunderter“ genannt?
Die Lektüre der Studie – eines Gutachtens, das teils Auflistungen von Luftgütemessungen, teils Prognosen enthält – lässt zwei Einschätzungen zu: eine rein faktische und eine grundsätzlichere, über den konkreten Anlassfall hinausgehende.
Zunächst die Fakten. Svazek argumentierte das Ende des Tempolimits, das abhängig von der jeweils aktuellen Schadstoffbelastung gilt, damit, dass laut Studie seit drei Jahren die Grenzwerte deutlich unterschritten würden (worauf gleich in anderen Bundesländern Stimmen laut wurden, die ebenfalls eine Abschaffung der nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-Luft) verhängten Regelung forderten).
Der Grenzwert: eine Geschmacksfrage
Ein maßgeblicher Indikator für das Tempolimit ist die Belastung mit dem Reizgas Stickstoffdioxid. Werden in Salzburg die Grenzwerte eingehalten? Die Antwort ist sehr österreichisch: Kommt drauf an. Respektive: Je nachdem, welchen Schwellenwert man bemüht. Die EU schreibt ein Maximum von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft vor, das IG-Luft 30 Mikrogramm, erlaubt aber, weil es bei uns gerne ein bisserl mehr sein darf, eine „Toleranzmarge“ von fünf Mikrogramm, somit 35. Die Grenzwerte erinnern ein wenig an einen Serviervorschlag.
Salzburg hat sich für die Extraportion Stickstoffdioxid entschieden: 35 Mikrogramm. Dieser Wert wurde im Vorjahr mit Müh und Not unterschritten: Gemessen wurden in Zeiten, in denen Tempo 100 in Kraft war, im Mittel 32,4 Mikrogramm. In den Jahren zuvor war es deutlich mehr, sogar mehr, als die EU erlaubt: fast 50 Mikrogramm 2015/2016, noch fast 44 2018/2019. Es gibt also einen rückläufigen Trend der Stickstoffdioxid-Belastung, der zuletzt darin mündete, dass der Schwellenwert gerade noch unterboten wurde – auch deshalb, weil eben bisher etwa die Hälfte der Zeit Tempo 100 galt.
Ist das ein Anlass, die Korken knallen zu lassen und fortan guten Gewissens über den Asphalt zu brettern? Kaum. Erstens unterließ es Svazek, ein wichtiges Detail zu erwähnen. Sie sagte, dass die Studie auch künftig eine Überschreitung der kritischen Werte für unwahrscheinlich halte. Das stimmt. Die Autoren modellierten mehrere Szenarien für die Schadstoffbelastung in den nächsten Jahren, abhängig von Tempo, Zahl der Fahrzeuge und Modernisierung der Technik.
Allerdings: Sie legten ihren Berechnungen (und der daraus resultierenden Prognose zur Einhaltung der Grenzwerte) keineswegs zugrunde, dass Autolenker ab Herbst frohgemut mit 130 Stundenkilometern flitzen– sondern lediglich mit 110 bei Tag und 105 bei Nacht, also unwesentlich schneller als bisher. Die Rechnung fußt auf tatsächlich im Mittel gefahrenen Geschwindigkeiten, ist somit realitätsnah. Zugleich bedeutet das aber, dass die Schadstoffampel in Zukunft nur dann grün zeigt, wenn die Leute etwa gleich langsam fahren wie bisher.
Zweitens: Sämtliche Grenzwerte sind sowieso bald Geschichte. Denn basierend auf neuer Evidenz will die EU ab 2030 eine Stickstoffdioxidgrenze von maximal 20 Mikrogramm festlegen. Diese Vorgabe lässt sich nie und nimmer erfüllen, weder jetzt noch in naher Zukunft.
Schert euch nicht um Einschränkungen!
Was soll dann die Aufhebung des Lufthunderters? Rät Frau Svazek (unter heftiger Akklamation Gleichgesinnter in Tirol) dazu, noch schnell Party zu machen, bevor die Spaßverderber in der EU wieder alles vermiesen?
Das führt uns zum Grundsätzlichen: Man könnte auch freiwillig und aus Gründen der Vernunft Tempolimits propagieren, weil man akzeptiert, dass überwältigende wissenschaftliche Belege dafür existieren, dass geringere Fahrgeschwindigkeiten nicht nur weniger Schadstoffe erzeugen, sondern auch die Lärmbelastung und die Unfallgefahr reduzieren. Und außerdem, kleiner Tipp, wie man die Leute motivieren könnte, auch Nudging genannt: Wer langsamer fährt, spart ordentlich Geld, wie sich deutlich an der eigenen Tankanzeige ablesen lässt. Stöhnen die Menschen nicht unter hohen Energiekosten? Oder ist das Sorgenmodul stummgeschaltet, wenn es ums Tempo auf der Autobahn geht?
Das Signal aus Salzburg aber lautet: Schert euch nicht um Einschränkungen, wie notwendig sie auch nach allem verfügbaren Wissen sein mögen, sobald kleinste vermeintliche Verbesserungen der Lage ein formales Schlupfloch bieten. Es ist die Aufforderung, stets so schnell wie möglich und unter Ausblendung größerer Ziele in genau jene Verhaltensmuster zurückzufallen, die die Probleme verursacht haben.
Insofern erklären die regionalen Ereignisse in Salzburg stellvertretend, warum Österreich bei Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht vom Fleck kommt.