Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Die Gagausische Frage

Die Gagausische Frage

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Am kommenden Sonntag, den 2. Februar, sind die Gagausen zu den Urnen gerufen. Sie sollen darüber abstimmen, ob sie sich einer russischen Zollunion anschließen wollen oder nicht.

Wer zum Teufel sind die Gagausen?, werden Sie nun fragen. Und wenn Sie erfahren, dass es sich um ein kleines Balkanvolk handelt, das zum Großteil in Moldawien lebt, wird Ihnen die Relevanz der Meldung vom demnächst stattfindenden Referendum auch noch nicht wirklich einleuchten.
Lesen Sie trotzdem weiter! Denn die „Gagausische Frage“ wird, wie es aussieht, noch einmal brisant werden. Also, wer sind die Gagausen?

So recht nahm die Welt ihre Existenz erst Ende der 1980er-Jahre zur Kenntnis. Als in Folge des Zerfalls der Sowjetunion die Moldawier ihre Unabhängigkeit erreichten, ging das nicht glatt vonstatten. Nicht nur die russische Bevölkerung am Ostufer des Dnjestr-Flusses lehnte es ab, sich in die neue Republik Moldau mit ihrer rumänischen Amtssprache eingliedern zu lassen. Auch das etwa 150.000 Menschen zählende christlich-orthodoxe Turkvolk der Gagausen, das im Süden des Landes lebt, wollte bei der moldawischen Staatsbildung nicht mitmachen. Hatte die ein westtürkisches Idiom sprechende Ethnie in der Sowjetzeit Russisch lernen müssen, so sollte ihren Angehörigen nun Rumänisch als Hauptsprache oktroyiert werden. Da sagten die Gagausen „nein“ – und bildeten eine Unabhängigkeitsbewegung.

In einem blutigen Sezessionskrieg spalteten sich die Transnistrier Anfang der 1990er-Jahre ab und riefen ihre eigene unabhängige Republik aus – ein schmaler, an die Ukraine grenzender Landstreifen, der von Moskau aufgepäppelt wird, aber dessen Unabhängigkeit sonst niemand anerkennt. Die Gagausen gingen einen anderen Weg: Sie akzeptierten 1994 eine von der moldawischen Regierung angebotene Autonomie. Diese geht erstaunlich weit. Mit Ausnahme der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Justiz kann in Comrat, der gagausischen Hauptstadt, alles – einschließlich der Steuereinhebung – entschieden werden.

Nun ist die Republik Moldau das unbestritten ärmste Land Europas. Ein Viertel der Bevölkerung ist dem Elend der Heimat durch Auswanderung entkommen. Seit Jahr und Tag verfolgen die Regierenden in der Hauptstadt Chisinau eine Politik der Annäherung an die EU – mit dem Endziel einer Mitgliedschaft. So glauben sie, noch am ehesten ihr Land aus der Misere zu führen.

Seit 2011 verhandelt die EU mit Chisinau einen Freihandelsvertrag als Teil eines geplanten Assoziationsabkommens. Mehr hat Moldawien nicht gebraucht. So wie Moskau mit offenen Drohungen und ökonomischem Druck Kiew vom Weg nach Europa abbringen wollte – und damit den Aufstand des prowestlichen Teils der ukrainischen Bevölkerung gegen den russenfreundlichen Autokraten Viktor Janukowitsch provozierte –, so verfährt nun Putin auch mit Moldawien.

Im vergangenen September teilte der Kreml den Moldawiern mit, sie dürften ihren Wein, ihr wichtigstes Ausfuhrprodukt, nicht mehr nach Russland exportieren. Zugleich wurde die Regierung in Chisinau daran erinnert, dass hunderttausende Moldawier ihr Geld als Gastarbeiter in Russland verdienen – und dass fast 200.000 von ihnen keine gültigen Aufenthaltspapiere hätten.

Bisher lässt sich die moldawische Führung nicht einschüchtern. Noch ist Chisinau nicht eingeknickt. Jetzt aber sieht es aus, als ob Moskau die gagausische Karte ausspielen würde.

Nach Meinungsumfragen will die eine Hälfte der Moldawier nach Europa, die andere schielt nach Moskau. Die Gagausen, die kaum rumänisch sprechen, sind aber in ihrer überwältigenden Mehrheit russophil. Kürzlich analysierte der rumänische Soziologe Dan Nicu in der Bukarester Tageszeitung „Adevarul“ die Situation: „Dieses Jahr will Russland die Gagausen instrumentalisieren, um den Weg Moldawiens nach Westen zu blockieren.“ Der Süden Moldawiens könne mit dem ukrainischen Osten verglichen werden, meint Nicu. Mit Transnistrien könnten die Russen nicht mehr drohen – diese Region habe sich bereits abgespalten: „Nun soll das autonome Territorium der Gagausen als neues, effektiveres Druckmittel eingesetzt werden, um Moldawien wieder in den russischen Einflussbereich zurückzuholen.“ Das kommende Referendum über den Beitritt zur russischen Zollunion sei bloß der erste Schritt.

Moskau versucht seit Langem, die ehemaligen Sowjetrepubliken in seinem Bannkreis zu halten. Ohne Rücksicht auf Verluste nutzt Putin seine Macht, um dieses Ziel zu erreichen. Gegen Georgien hat er 2008 Krieg geführt und zwei Regionen – Abchasien und Süd-Ossetien – unter russische Kontrolle gebracht. Die neoimperiale Politik des Kremlherrn droht die Ukraine in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Und nun kommt auch Moldawien dran. Es könnte gefährlich werden.

Dass die EU mit ihrer dilettantischen Ostpolitik zur desaströsen ukrainischen Entwicklung beigetragen hat, ist offensichtlich. Aus den Fehlern, die Europa gegenüber Kiew begangen hat, kann man in Brüssel lernen. Die Perspektive der Westintegration sollte für die Moldawier nicht bloß Versprechen bleiben, sondern schon jetzt wirtschaftlich spürbare Verbesserungen bringen. Und EU-Emissäre mögen so schnell wie möglich nach Comrat, zu den Gagausen aufbrechen – mit gefüllten Geldkoffern. Vielleicht könnte damit dieses bisher kaum bekannte Volk ein wenig von seiner Liebe zu Moskau geheilt werden. Allzu teuer sollte das nicht kommen.

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