Kommentar

Gastarbeiter, nein danke

Wer zu Gast ist, sollte nicht arbeiten müssen. Und wer in einem Land arbeitet und Steuern zahlt, hat das Recht, dort zu Hause zu sein. Eine persönliche Abrechnung mit dem Begriff "Gastarbeiter".

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Ich hasse den Begriff Gastarbeiter. Er begleitet mich seit meinem ersten Tag in Österreich, obwohl meine Eltern weder als Gastarbeiter kamen, noch aus einem der beiden Gastarbeiterländer (Ex-)Jugoslawien und Türkei stammen. Aber in den 1990er-Jahren waren alle Ausländer, die aus dem Osten kamen, irgendwie gleich ausländisch. Und wer nicht vor einem Krieg geflohen war, war eben Gastarbeiter. Der Begriff ist aber unhöflich. Denn er sagt im Grunde eines: Ihr seid hier nicht zu Hause! Wie lange sind Menschen, die in einem Land arbeiten, Steuern zahlen und da ihre Kinder zur Schule schicken, noch Gäste? Und ab wann dürfen sie Mitbürger und Mitbürgerin sein?

Österreich ist ein Einwanderungsland. Heimische Betriebe und die öffentliche Hand verlassen sich seit Jahrzehnten darauf, dass genug Menschen zuwandern, um hier als Krankenpfleger, Programmiererinnen, Bau- und Leiharbeiter, Putzpersonal oder Ärztinnen zu arbeiten. Ein Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, dass sich das so bald auch nicht ändern wird. Bis 2050 wird die Anzahl der Menschen über 65 steigen, während die Anzahl der Berufstätigen bestenfalls stagnieren wird. Wir kommen also weder im Gesundheitsbereich noch bei der Kinderbetreuung, am Bau oder in der Industrie ohne Menschen aus, die ihr Zuhause verlassen, um in Österreich zu arbeiten.

Ausländische Arbeitskräfte tragen aber nicht nur den Wirtschaftsaufschwung mit. Sie sind auch in der Regel die Ersten, die den Abschwung zu spüren bekommen. Im September stieg die Arbeitslosigkeit wieder leicht an. Das liegt vor allem daran, dass es derzeit am Bau und in der Industrie nicht gerade berauschend läuft. Die AMS-Zahlen bringen eine interessante Entwicklung zutage: Während die Arbeitslosenquote unter österreichischen Staatsbürgern bloß um 0,4 Prozent gestiegen ist, ist sie bei Ausländern und Ausländerinnen um stattliche 16,5 Prozent gestiegen.

Das ist nicht neu und hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens schlagen nach und nach anerkannte Flüchtlinge beim AMS als jobsuchend auf. Und zweitens: Wenn sich eine Krise anbahnt, wovon wir derzeit ausgehen müssen, trifft das zuerst die sogenannten konjunktursensitiven Branchen, wo viel mehr ausländische Arbeitskräfte beschäftigt sind: den Bau, die Leiharbeit, die Gastro.

Es traf auch meinen Vater. Kurz nach der Finanzkrise 2009 geriet der Industriebetrieb, in dem er arbeitete, unter Druck, und er und einige seiner Kollegen wurden gekündigt. Er fragte damals seinen Betriebsrat: "Warum ich, Thomas?" Thomas antwortete: "Schau, nimm das nicht persönlich, du kannst ja immer noch nach Hause zurück." Das tat weh. Denn längst besuchten seine Kinder hier die Schule und studierten. "Zu Hause" hingegen war mein Vater über die Jahre immer mehr zum Gast geworden, der im Sommer für ein paar Wochen kam und vom Leben in seiner neuen Heimat erzählte. Und hier? Er fühlte sich wie ein betriebliches Kriseninstrument. Ein paar Monate später, als es der Firma wieder gut ging, rief man ihn an und fragte, ob er noch einen Job suche.

Gesellschaft und Zusammenleben funktionieren aber nicht so: kommen, um zu arbeiten, und wieder gehen, wenn es keine Arbeit mehr gibt. Man ist auch ein Kollege, Elternteil, Nachbar. Wenn nun Personalvermittlungsfirmen und Kammervertretungen in die Welt ausschwirren, um in Lateinamerika, Bosnien, Indien oder auf den Philippinen neue Krankenpfleger oder Technikerinnen anzuwerben, sollten sie diesen Menschen auch erklären, wie ihr Leben außerhalb des Betriebs aussehen wird, welche Perspektiven ihre Kinder erwarten. Und wir sollten das "Gast" vor dem "Arbeiter" aus unserem Sprachgebrauch streichen. Denn wer qualifiziert genug ist und sich seinen Arbeitsort aussuchen kann, geht dorthin, wo er oder sie auch die Aussicht auf ein besseres Zuhause hat.

Die Autorin wurde in Bulgarien geboren. Ihre Familie emigrierte 1993 nach Österreich.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".