Monika Rosen: Bündelung der Börsenkräfte
Was die Finanzmärkte angeht, so gibt es die Amerikaner und dann den Rest der Welt. Das lässt sich anhand von ein paar Zahlen zeigen. Der KI Star Nvidia ist mit einer Marktkapitalisierung von über 2,6 Billionen US-Dollar an der Börse mehr wert als der gesamte deutsche Leitindex Dax! Die sechs größten US-Unternehmen, die an der Wall Street in Summe über 13 Billionen US-Dollar auf die Waage bringen, lassen sogar die Gesamtheit der europäischen Märkte hinter sich. Damit sind wir schon beim Stichwort: Was kann Europa tun, um hier aufzuholen?
Wie so oft, würde auch beim Thema Kapitalmarkt die Antwort in einer Bündelung der Kräfte liegen. Darauf wies zuletzt der ehemalige italienische Premierminister Enrico Letta in seinem Bericht zur Zukunft des gemeinsamen Marktes hin. Europa müsse seinen Kapitalmarkt integrieren, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, so Letta gegenüber der „Financial Times“. In Europa ist die Wirtschaft aber sehr bankenzentriert. In der EU finanzieren sich die Unternehmen zu 70 Prozent über die Banken, lediglich 30 Prozent der Finanzierungen werden über den Kapitalmarkt abgewickelt. Ziel wäre es, diesen Anteil auf 50 Prozent zu steigern. In den USA ist das Verhältnis genau umgekehrt, der Anteil der Bankkredite liegt nur bei einem Drittel, der große Rest läuft über den Kapitalmarkt.
Kapitalmarkt für Altersvorsorge nutzen
Das Thema Altersvorsorge spielt dabei ebenfalls eine tragende Rolle. Dass das Umlageverfahren bei den Pensionen langfristig ein Loch in die öffentlichen Finanzen frisst und nicht zukunftsfähig ist, wird medial zwar immer wieder diskutiert. Der Kapitalmarkt wird aber viel zu wenig als mögliche Lösung ins Spiel gebracht. Es geht immer nur um eine Erhöhung des Antrittsalters oder eine Kürzung der Bezüge, beides natürlich sehr unpopuläre Schritte. Man müsste also viel mehr darauf hinweisen, dass ein langfristiges Engagement am Kapitalmarkt viel von dieser Problematik abfedern könnte.
Im Kern geht es aber auch um eine Imageverbesserung der Börse.
Gerade in Österreich führt die private Altersvorsorge ein Schattendasein, das wurde auch im Ranking des Mercer CFA Institute Global Pension Index widergespiegelt. Der Index wird einmal im Jahr erstellt und bewertet 44 globale Pensionssysteme, die zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren, nach Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Integrität. Gleich vorweg: In der Subkategorie Nachhaltigkeit belegt Österreich mit 22,6 von 100 Punkten den wenig schmeichelhaften letzten Platz. Das Gesamtranking vergibt Großbuchstaben, mit A werden die Niederlande, Island, Dänemark und Israel bewertet. Österreich erhält gesamthaft ein C. Wir befinden uns damit in der Gesellschaft von Brasilien, Botswana, aber auch Italien und Japan. Schlechter, also mit D, sind nur fünf Länder bewertet, unter anderem Argentinien.
Ein weiterer heikler Punkt auf dem Weg in Richtung Kapitalmarktunion ist die Harmonisierung der Börsenplätze. Wenngleich die Börse oft in Misskredit gezogen wird, ist wohl kaum ein Land bereit, auf einen eigenen Börsenplatz zu verzichten. Wenn man die großen Handelsplätze der Welt Revue passieren lässt, fällt Folgendes auf: Um im Konzert der Weltbörsen mitspielen zu können, muss eine Stadt vor allem eines sein, und das ist englischsprachig. Siehe New York, London, Singapur oder Hongkong. Mit dem Brexit hat die EU ihren mit Abstand wichtigsten Handelsplatz verloren. Und als eigentliche Profiteurin des Brexits in dieser Hinsicht gilt ja nicht Paris oder Frankfurt, sondern New York.
Im Kern geht es aber auch um eine Imageverbesserung der Börse. Finanzmärkte gelten als sperrig, komplex, im schlimmsten Fall als gefährlich. Dabei müsste man aufzeigen, dass die Börse auch ungeheure Erfolgsgeschichten schreiben kann, siehe Nvidia. Das Beispiel der USA zeigt, dass der Kapitalmarkt nicht elitär sein muss. Es gibt dort die Theorie, dass die starke Performance der Wall Street seit dem Zweiten Weltkrieg auch eine Funktion der Demokratisierung der Börse ist. Indem breitere Bevölkerungsschichten am Kapitalmarkt investieren, wird nicht nur der Markt an sich gestärkt, sondern auch der Wohlstandserhalt für mehr Menschen abgesichert.
Zur Person
Monika Rosen (62) ist Börsenexpertin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft.