Werden der Börse die Flügel gestutzt?
Zumindest an der (amerikanischen) Börse waren die letzten beiden Jahre ein Fall für die Geschichtsbücher: Der breite S&P 500 Index hat zwei Jahre in Folge jeweils deutlich über 20 Prozent zugelegt. Laut dem Vermögensverwalter BlackRock liegt die Wahrscheinlichkeit für eine derart starke Performance bei unter zehn Prozent. Die Chance, dass die Wall Street das Kunststück ein drittes Jahr in Folge wiederholen kann, beträgt aber unter drei Prozent.
Wenn wir also im neuen Jahr kleinere Brötchen an der Börse backen, muss das nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht sein. Die Rückkehr zu Kursbewegungen, wie sie dem langjährigen Schnitt entsprechen, könnte als notwendige, heilsame Konsolidierung in einem eventuell etwas überhitzten Markt angesehen werden. Und: In den USA hat sich die Rallye im Vorjahr deutlich verbreitert. Haben die großen Tech-Werte, die Magnificent Seven, im ersten Halbjahr 2024 noch 60 Prozent zum Indexanstieg im S&P beigetragen, sank dieser Anteil in der zweiten Jahreshälfte auf weniger als 25 Prozent. Damit sind auch schon ein paar Pflöcke für das neue Jahr eingeschlagen. Die meisten Häuser gehen heuer von einem etwas bescheideneren Indexanstieg aus, an dem aber auch mehr Sektoren partizipieren können.
Was der Stimmung an der Wall Street auf alle Fälle gutgetan hat, war der rasche und eindeutige Wahlsieg von Donald Trump. Man verspricht sich Impulse in Form von Steuersenkungen und Erleichterungen beim Thema Regulierung. In diesem Zusammenhang sollte 2025 auch ein gutes Jahr für Übernahmen und Börsengänge werden. Auch die Krypto-Währungen ließen sich von der Euphorie anstecken, Bitcoin sprang erstmals über die magische Marke von 100.000 Dollar. Hier gilt Trump ebenfalls als Hoffnungsträger, möchte er doch eine strategische Bitcoin-Reserve in den USA anlegen und die Rahmenbedingungen für den Handel mit Krypto-Währungen erleichtern.
Was könnte die Party stören? Da wäre einmal das leidige Thema Inflation. Die US-Notenbank hat im Dezember zwar eine weitere Zinssenkung vorgenommen, dabei aber klargemacht, dass man sich mit weiteren Schritten jetzt etwas Zeit lassen werde. Die von Donald Trump in Aussicht genommenen Maßnahmen wie Steuersenkungen und Importzölle sollten die Inflation jedenfalls anheizen, was weitere geldpolitische Lockerungen sicher erschwert. Der Rentenmarkt hat auf diesen Umstand jedenfalls schon reagiert und die Performance der US-Staatsanleihen nach unten gedrückt.
An den europäischen Börsen gibt es zum Jahreswechsel ebenfalls wenig Grund zum Feiern.
An den europäischen Börsen gibt es zum Jahreswechsel ebenfalls wenig Grund zum Feiern. Der Anstieg im breiten Stoxx 600 Index blieb 2024 deutlich einstellig. Zwar nährt das die Hoffnung auf eine Aufholjagd im heurigen Jahr.
Immerhin musste Europa im Vorjahr die stärkste Underperformance zum S&P seit 30 Jahren hinnehmen. Dennoch sehen viele Experten die Führungsrolle der Wall Street ungefährdet, Europa werde den Rückstand bestenfalls verkleinern können. Die Region kämpft weiterhin mit strukturellen Problemen, wie der nicht mehr wettbewerbsfähigen Autoindustrie und den hohen Energiepreisen. Dazu kommt der immer noch nicht beendete Krieg in der Ukraine.
In China rüstet man sich derweil für die zweite Amtszeit von Trump und die damit einhergehenden Verschärfungen bei den Handelsbedingungen (Zölle). Außerdem hat die Führung in Peking ein umfangreiches Stimulierungsprogramm angekündigt, um das nach wie vor enttäuschende Wachstum anzukurbeln. Viele Probleme, von der Immobilienkrise bis zum schwächelnden privaten Konsum, sind immer noch nicht wirklich gelöst. Angesichts dieser Faktoren war die Performance der Börse in Shanghai mit einem Plus von rund 15 Prozent im Vorjahr gar nicht schlecht.
Wir leben immer noch in unruhigen Zeiten, und das tat einer Anlageklasse sehr gut, nämlich Gold. Mit einem Anstieg von über 25 Prozent hatte das Edelmetall sein bestes Jahr seit 2010. Und selbst wenn die Zinssenkungen, die den Goldpreis 2024 beflügelt haben, heuer nicht mehr für so viel Rückenwind sorgen, das geopolitische Umfeld sollte die Nachfrage nach Gold immer noch unterstützen … leider!
Zur Person
Monika Rosen ist Börsenexpertin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft.