Gelungenes Experiment auf offener Bühne
Es liegt im Wesen der Kunst, Kritik zu evozieren – und die Kulturhauptstadt wurde von vielen, aber nicht immer wohlmeinenden Kommentaren begleitet.
Wir haben viel über Streitigkeiten unter den 23 an der Kulturhauptstadt beteiligten Gemeinden gehört, die oft nur am Rande mit dem Projekt zu tun hatten. Wir haben eine mit lebhafter Empörung geführte Diskussion verfolgt, ob eine vielfach ausgezeichnete Künstlerin mit nackten, nicht den Idealmaßen entsprechenden Körpern für die Akzeptanz von Körpern werben darf. Und müssen nun die Ergebnisse einer zum Teil in Kulturhauptstadt-fernen Gemeinden durchgeführten Umfrage relativieren, die zeigen soll, dass kaum jemand von diesem Kulturexperiment Notiz genommen hätte.
Wer Kultur ermöglichen will, muss das aushalten.
Fakt ist: Die Kulturhauptstadt durfte sich (bei einem Auszählungsstand von 50 Prozent) über mehr als 600.000 Besucher:innen von Veranstaltungen, über Rekordumsätze in Gastronomie, Hotellerie und Handel und einen weltweiten Werbewert von rund 110 Millionen Euro freuen.
Am Ende werden diese Zahlen noch deutlich höher liegen, aber das ist eigentlich nicht das Entscheidende: „Die Diskussion zur Europäischen Kulturhauptstadt primär an der Anzahl der Besucher:innen festzumachen, greift zu kurz“, meint Christian Grünhaus vom NPO-Kompetenzzentrum der WU, beauftragt mit einer ernsthaften Evaluierung der Kulturhauptstadt. Für ihn ist „beispielsweise auch interessant, was unterschiedlichste Gruppen an Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten mitgenommen haben“.
Denn um die ging es – in der ersten Kulturhauptstadt in einer ländlichen, inneralpinen Region. Ein Raum, von der Politik vielfach vernachlässigt, in seinen Traditionen oft über- wie in seinen Möglichkeiten unterschätzt, ein Raum auch, in dem sich drängende Fragen unserer Zeit – Klimawandel, Personalmangel, Baukultur, Mobilität – besonders konkret verorten und bemessen lassen.
Ein Experiment auf offener Bühne.
Tatsächlich hat sich gezeigt, dass Kunst ihre Kraft auch dann entfalten kann, wenn sie ohne große Infrastruktur auskommen muss. Wir haben Möglichkeitsräume geschaffen, in denen Bewohner:innen, Kunst- und Kreativszene eingeladen wurden, sich mit der Region, mit sich selbst, mit Neuem und Fremdem, vor allem aber mit ihren Wünschen für die Zukunft zu beschäftigen. Das ist auch laut dem Prüfbericht der EU Cult–Kommission gelungen: „Diese Kulturhauptstadt hat ein reichhaltigeres Programm als die meisten anderen.“
Von vielen wurde diese Einladung erst zögerlich, dann aber umso dankbarer angenommen. Sie bot die Möglichkeit, einem nie hinterfragten Glauben an technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt nachzuspüren und Strategien zur Veränderung anzustoßen. Gerade für die wichtigste Einkommensquelle der Region, wo Projekte wie das „Wirtshauslabor“ gezeigt haben, wie nachhaltiger Tourismus das ganze Jahr über interessant und verträglich gestaltet werden kann.
Was bleibt, sind keine monumentalen neuen Bauwerke. Aber das war angesichts des Budgets und unserer Förderverträge auch gar nicht möglich.
Wir hinterlassen stattdessen neubelebte Museen (u. a. Hotel Austria/Museum der Stadt Bad Ischl, Bartlhaus/Pettenbach, Steinberghaus/Bad Aussee), auf den Weg gebrachte Renovierungen (z. B. Lehár Theater) und revitalisierte, zu Kunstorten umfunktionierte Leerstände (z. B. Sudhaus/neues Kulturzentrum/Bad Ischl, Kunstquartier Gmunden) sowie Blaupausen für eine optimierte Handwerkskunst und Baukultur.
Am wichtigsten aber sind die geistigen Konstrukte: geschlagene Brücken und Vernetzungen auf internationaler und regionaler Ebene – das Fundament für ein neues Selbstverständnis dieser Region, auf dem sie sich weiterentwickeln kann, hin zu einem Lebensraum, der über rein touristische Ziele hinaus attraktiv und lebenswert bleibt und der mit all seinem alten und neuen weitverzweigten Wissen beweisen kann, dass Natur und Mensch ein kluges Miteinander ohne einseitige Ausbeutung finden können.
Es bleibt der Nachfolgeorganisation, die auf den Weg gebracht wurde, ohne die Gemeinden zur Kasse zu bitten, und den weiterlaufenden Initiativen vorbehalten, diese Visionen Wirklichkeit werden und die Region zu einem Vorbild für Europa und die Welt wachsen zu lassen.