Gentechnik: Überlebensmittel
Der Mann hat Millionen Menschen vor dem Hungertod bewahrt und ist dennoch fast unbekannt. Norman Ernest Borlaug begann Mitte der 1940er-Jahre in Mexiko mit Experimenten, die auf Ertragssteigerungen bei Feldfrüchten abzielten. Schließlich züchtete der amerikanische Biologe eine besonders ergiebige Weizensorte, die zugleich so kleinwüchsig war, dass die Pflanzen unter der Last der Ähren nicht knickten. Der Zwergweizen führte zu einer Verdreifachung der Ernte, was Ländern wie Mexiko, Indien und Pakistan zugutekam. Borlaug erhielt für seine Innovation 1970 den Friedensnobelpreis. Kein einzelner Mensch in der Geschichte, hieß es, habe mehr Leben gerettet als er.
Borlaug hatte ins Weizenerbgut eingegriffen und das genetische Profil im Sinne der Ertragsmaximierung und zum Wohl der Welternährung verändert – freilich damals mit konventioneller Züchtung. Heute gelänge dasselbe Vorhaben gewiss deutlich schneller, effizienter und kostengünstiger: mit neuen Methoden der Gentechnik wie CRISPR/Cas9, der Genschere. Damit können ausgewählte Stellen im Genom präzise angesteuert und Gene zum Beispiel stummgeschaltet werden – solche, die die Wuchsform beeinflussen, für Hitze- und Trockenstress oder die Anfälligkeit für Schädlinge verantwortlich sind.
Resultat wären klimafitte Nutzpflanzen, die resistent gegenüber Krankheiten sind – und zwar ohne Unmengen Pestizide versprühen zu müssen, weil der Schutzmechanismus bereits genetisch eingebaut ist. Der Eingriff mittels CRISPR hinterlässt keine Spuren: Niemand könnte sagen, ob er mit der Genschere, durch herkömmliche Züchtung oder natürliche Mutation zustande kam.
Doch es gibt ein Problem mit der Gentechnologie: Die Menschen, besonders in Europa, lehnen sie rundheraus ab. Zwischen 80 und 95 Prozent der Bevölkerung in Österreich und Deutschland sagen in Umfragen, dass sie gegen jede Form der Gentechnik sind. Zugleich sprechen sich fast 80 Prozent der Befragten gegen Pestizide in der Landwirtschaft aus. Eine Mehrheit der Menschen hält es gleichzeitig für unvertretbar, Naturflächen in Ackerland umzuwidmen – was im Hinblick auf die wichtige CO2-Aufnahmefähigkeit eine sehr berechtigte Position ist. Jedoch: Die von ebenfalls sehr vielen Menschen präferierte Biolandwirtschaft benötigt im Schnitt mehr Fläche, weil die Erträge geringer sind.
Auch wenn es wie ein Tabubruch klingt: Neue Gentechnik und Bio passen hervorragend zusammen.
Wie geht das alles zusammen? Überhaupt nicht, besonders, wenn man bedenkt, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf beinahe zehn Milliarden Menschen wachsen wird.
Nun gibt es gute Gründe, eine Reduktion von Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln zu befürworten. Zwar sind Volumina allein nicht aussagekräftig, weil auch die Toxizität, Effektivität und Anwendungsform der einzelnen Substanzen zählen (wobei Glyphosat gängigen Annahmen zum Trotz ziemlich gut abschneidet), aber dennoch: Chemie auf Feldern gilt es, wo immer möglich, zu vermeiden. Es gibt weiters gute Gründe, klassische Gentechnik kritisch zu sehen. Traditionell wurden Nutzpflanzen häufig dahingehend verändert, dass sie tolerant gegenüber Pestiziden sind, mit der Folge, dass beide Schreckensvorstellungen vieler Menschen in Kombination auftraten: Gentechnik und Chemie, mitunter sogar mehr davon als zuvor. Auch das ist fallweise sinnvoll, es kann aber trotzdem nicht die Lösung sein, Pflanzen unempfindlich gegenüber Substanzen zu machen, die man weitestgehend vermeiden sollte.
Überzeugender klingt die Idee, Pflanzen so zu beeinflussen, dass sie solche Substanzen gar nicht mehr benötigen. Speziell die Genschere kann uns diesem Ziel ein gutes Stück näherbringen.
Gemüse kann dadurch länger frisch und haltbar werden, Getreide weniger Gluten beinhalten, die Deaktivierung einzelner Gene Pflanzen vor Viren, Bakterien und Pilzen schützen, etwa Weizen vor Mehltau. Insgesamt geht es darum, Nutzpflanzen robust, ertrag- und nährstoffreich zu machen. Die Methode ist auch nicht Konzernen vorbehalten: CRISPR ist relativ einfach und günstig, sodass es sich auch mittelständische Betriebe leisten können, mit spezialisierten Laboren zu kooperieren. Und auch wenn es wie ein Tabubruch klingt: Neue Gentechnik und Bio passen hervorragend zusammen. Gerade diese Kombination könnte einen Eckpfeiler einer Landwirtschaft der Zukunft darstellen – mit Pflanzen, die klimatischen Veränderungen standhalten und dank Schädlingsresistenz hohe Erträge liefern, ohne dafür viel Chemie oder aber deutlich mehr Flächen zu benötigen.
Vielleicht erscheint eine Landwirtschaft wie vor 100 Jahren sympathischer. Damals lebten allerdings noch nicht einmal zwei Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Wenn man die großen Herausforderungen der Nahrungsmittelproduktion akzeptiert – Klimawandel, wachsende Weltbevölkerung und die Maxime des Bodenschutzes –, wird man nicht umhinkommen, sich mit den Möglichkeiten der Gentechnik auseinanderzusetzen, wenigstens als Teil einer Lösung.