Georg Hoffmann-Ostenhof: Adieu Tristesse
Zu Beginn seines Auftritts beim Weltwirtschaftsforum in Davos vergangenen Mittwoch wies Emmanuel Macron auf das Paradoxon hin, dass just an einem Ort über Globalisierung diskutiert wird, der durch den Schnee vom Rest der Welt völlig abgeschnitten ist. Der französische Präsident dann: „Und wenn Sie da hinaussehen, glaubt man kaum an die Klimaerwärmung. Aber glücklicherweise haben Sie ja keinen Klimaskeptiker eingeladen.“ Mit diesem ironischen Seitenhieb auf Donald Trump, der zwei Tage danach ans Rednerpult treten sollte, hatte Macron das Publikum – die Mächtigen und Reichen dieser Welt, die sich jährlich in dem Schweizer Kurort ein Rendezvous geben – gewonnen.
Seine Rede dann hatte ein großes Thema: „France is back“, rief er auf Englisch, „France est de retour“ auf Französisch. Frankreich sei wieder da. Und zwar in allen Bereichen: In der Wirtschaft, in Europa, auf der Bühne der Weltpolitik. Realität oder bloßes Wunschdenken?
Weg vom Fenster war das Land Napoleons, De Gaulles und Mitterrands tatsächlich seit Längerem. Es war immer mehr ins Abseits gedriftet. Zunächst musste es seine Kolonien aufgeben. In den 1960er-Jahren zu einer europäischen Regionalmacht geschrumpft, konnte sich Frankreich in der Folge immerhin noch als politisch führende Nation in der EU fühlen. Auch das war bald vorbei.
Seit der deutschen Wiedervereinigung verloren die Franzosen zunehmend auch in Europa an Bedeutung. Nicht zuletzt, weil sie ökonomisch immer mehr ins Hintertreffen gerieten. Das stark staatlich geprägte französische Wirtschaftsmodell mit seiner legendären „Planification“ war nach 1945 eine bewunderte Erfolgsgeschichte, erwies sich aber spätestens ab den 1980er-Jahren als dysfunktional. Seit damals weiß man in Paris auch, dass liberale Lockerungsübungen fällig sind. Aber weder rechte noch linke Regierungen waren in der Lage, die so notwendigen Reformen durchzusetzen.
Und so wurden die Franzosen – konfrontiert mit wirtschaftlichem Stillstand und hoher Arbeitslosigkeit, nationalem Niedergang und düsteren Zukunftsaussichten – immer missmutiger. Aus dieser Gemütslage heraus lehnten sie 2005 in einem Referendum die europäische Verfassung ab und begannen immer heftiger mit der EU-Hasserin Marine Le Pen zu flirten. Sie fühlten sich – so zeigen internationale Umfragen – unglücklicher und unzufriedener als fast alle anderen Völker dieser Erde.
Macron – eine Kreuzung zwischen Michelangelo, Metternich und Machiavelli.
2016 hatten die Franzosen offenbar genug von ihrer schlechten Laune. Sie sagten „Adieu Tristesse“, als sie Emmanuel Macron in den Élysée-Palast hievten. Sie wählten den jungen, dynamischen Charismatiker, der ihnen verhieß, sie durch liberale Reformen, durch die Stärkung Europas und die Beschleunigung der Globalisierung aus ihrer Depression und die Nation aus ihrer Misere herauszuholen. Und wenn Macron von der Zukunft Frankreichs spricht, dann klingt das wie die französische Version des Obama’schen „Yes We Can“.
Das ist nicht bloße optimistische Mutmacher-Rhetorik. Bereits in den wenigen Monaten seiner Amtszeit hat Macron das zustande gebracht, was den Präsidenten vor ihm seit Jahrzehnten nicht und nicht gelingen wollte: Er liberalisierte den Arbeitsmarkt, senkte die Unternehmenssteuern – die in Frankreich ungleich höher als in fast allen anderen EU-Staaten waren – und rückt dem aufgeblähten Staatsapparat zu Leibe.
Und siehe da: Die Arbeitslosigkeit geht bereits zurück. Das ist nicht nur der guten Konjunktur der Weltwirtschaft geschuldet. Dieses Jahr wird die französische Wachstumsrate bereits höher sein als die deutsche. Internationale Investoren geben einander in Paris die Klinke in die Hand. Und französische Manager und Wissenschafter, die einst vor der Stagnation ihres Heimatlandes nach London oder New York flohen, beginnen zurückzukehren.
Auch Macrons EU-Reformvorhaben scheint in die Gänge zu kommen. In Berlin wird höchstwahrscheinlich demnächst die von Macron gewünschte Große Koalition gebildet. Mit Angela Merkel versteht er sich blendend. Und die SPD hatte immer schon ähnliche Vorstellungen von Europa wie der französische Präsident: Eine starke, weiter vertiefte und demokratischere EU, die nicht nur über Haushaltsdisziplin wacht, sondern auch aktiv in die Wirtschaft eingreift und Wachstumspolitik betreibt.
Und wer glaubte, in Macron einen kalten Wirtschaftsliberalen zu erkennen, wurde in Davos eines Besseren belehrt: Der Freund des Freihandels geißelte die Ungleichheit, von der vor allem die Superreichen profitieren. Er griff frontal die radikale Steuervermeidung der großen Multis an und beklagte die „Krise der Globalisierung“. Eine internationale Kooperation nach der Art der G20, ein „globaler Kontrakt“, soll mittels internationaler Investitionen dafür sorgen, dass die Globalisierung allen – und nicht nur ganz wenigen – zugute kommt: „Wenn das nicht gelingt, dann werden in fünf bis sechs Jahren überall die Nationalisten siegen“, warnte der Franzose.
Macron will seine Nation wieder zu einem global player machen. Und der Mann, den der britische Sender BBC schon mal als „Kreuzung zwischen Metternich, Michelangelo und Machiavelli“ preist, stößt in das globale politische Vakuum vor, das durch Donald Trumps Aufgabe der Führungsrolle auf der Welt, durch den Brexit und das Schwächeln von Angela Merkel entstanden ist.
Bis jetzt ist Macrons Projekt der Frankreich-Rückkehr jedenfalls auf gutem Weg.