Georg Hoffmann-Ostenhof: Altmännersommer
Bernie-Sanders-Hype, Jeremy-Corbyn-Mania. Zwei Alte mischen in diesem Sommer die Politik kräftig auf – in den USA, in Großbritannien. Was ist da passiert?
Die Krise, in der die westliche Welt seit einigen Jahren steckt, hat so manches an politischer Innovation – neue politische Kräfte und Politikertypen – hervorgebracht.
Da sind einmal die Rechtspopulisten und -extremen: Gewiss, die sind nicht neu. Neu ist aber deren jetzt noch spektakulärerer Aufstieg in fast allen europäischen Ländern und auch in den USA. Siehe die Tea Party.
Geben die Radikalnationalisten, die Straches, Le Pens, Wilders und Konsorten den Ausländern und dem Ausland die Hauptschuld an der Misere und gewinnen sie so die Gunst des frustrierten und verunsicherten Publikums, so spricht eine andere Kategorie von politischen Mitspielern die Leute mit einem einfachen Versprechen an: Die Milliardäre, die sich in letzter Zeit gehäuft in die Politik drängen, locken mit der Aussicht, sie könnten ähnlich erfolgreich, wie sie ihr Vermögen gemacht haben und ihre Firmen leiten, das Land regieren und so vor dem Untergang retten.
Als Role-Model gilt ihnen Silvio Berlusconi. In osteuropäischen Ländern gelangte so mancher von ihnen an die Macht. Und auch aktuell sind wieder einige Mogule im entwickelten Westen politisch unterwegs. Frank Stronach ist noch immer präsent, obwohl er seine besseren Zeiten in der österreichischen Politik schon hinter sich hat. In den USA aber hängt gerade der superreiche, leicht größenwahnsinnige Immobilen-Unternehmer Donald Trump seine Rivalen im republikanischen Vorwahlkampf dramatisch ab. Die meisten dieser politisierenden Superreichen haben letztlich eine politisch rechte Agenda.
Es gibt auch von links eine radikale Antwort auf die Krise: etwa Alexis Tsipras und seine Syriza in Griechenland. Podemos mit ihrem Anführer Pablo Iglesias in Spanien präsentieren sich als Neue Linke, die der sozialen Ungleichheit, den Austerity-Regimen und deren sozialdemokratischen Kollaborateuren den Kampf ansagt. Fesch, glamourös und modern faszinieren diese Anti-Establishment-Politiker vor allem die Jungen, die in ihnen den Ausdruck eines echten politischen Generationswechsels erblicken und sich vom Charme der Revolution begeistern lassen.
Und jetzt haben Sanders und Corbyn – weißhaarig beide, der eine 74, der andere 66 Jahre alt – ihre großen Auftritte. Niemand hätte gedacht, dass sie noch irgendwann eine relevante politische Rolle spielen würden. Bernie Sanders, der sich als Sozialist bezeichnet, sitzt seit vielen Jahren für die Demokratische Partei im Senat – als Unikum und ewiger Außenseiter. Corbyn wiederum war bereits in den 1980er-Jahren ein linker Hinterbänkler der Labour-Party im Westminster-Parlament. Das blieb er bis heute.
Was bis noch vor Kurzem als altmodisch, verstaubt und überholt erschien, ist plötzlich en vogue.
Dass sie plötzlich populär werden, hat sie selbst am meisten überrascht. Aber die Herzen – und wiederum vor allem jene der Jungen – fliegen ihnen zu. Corbyn führt im Kampf um den Labour-Parteivorsitz in den Umfragen weit vor all seinen Konkurrenten. Im September könnte er von der Parteibasis tatsächlich zum Chef der britischen Sozialdemokraten gewählt werden. Und Bernie Sanders rückt im Vorwahlkampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur der unbestrittenen Favoritin Hillary Clinton immer näher.
Erstaunlich. Die Programmatik der beiden Alten unterscheidet sich zwar nicht prinzipiell von jenen von Syriza oder Podemos. Aber sie agieren nicht von außen. Sie sind – wenn auch bisher auf eher marginaler Position – Teil des politischen Establishments. Glamourös ist nichts an ihnen. Volkstribunen sind sie auch nicht. Ihre Antworten auf die Krise – Besteuerung der Reichen, Verteidigung und Ausbau des Sozialstaates und staatliche Investitionen zur Förderung des Wachstums – präsentieren sie in nüchterner Form. Ohne zu polemisieren. Sie stellen tatsächlich die Inhalte und nicht ihre Person in den Vordergrund. Und sie beschimpfen auch nicht, wie sonst üblich in Wahlkämpfen, ihre Gegner.
Was bis noch vor Kurzem als altmodisch, verstaubt und überholt erschien, ist plötzlich en vogue. Die Jungen haben die Liebe zu den politischen Großvätern entdeckt, die sie für ernsthafter und glaubwürdiger als deren jüngere Rivalen halten. Amerika und England erleben in diesen heißen Sommertagen einen kleinen Ausbruch politischer Gerontophilie.
Und was bedeutet all das? Das linke Aufbegehren gegen die herrschende Politik hat in den vergangenen Jahren bereits einen weiten Weg hinter sich: Am Anfang standen die ebenso anarchischen wie kurzlebigen Occupy-Bewegungen und die Mobilisierung von „Indignados“ (die im Übrigen schon einen Mann in seinen Neunzigern, den Franzosen Stéphane Hessel, als ideologischen Mentor hatten). Dann begann sich deren Radikalismus in Organisationen wie Syriza und Podemos zu verfestigen. Und jetzt signalisieren Bernie Sanders und Jeremy Corbyn: Die grundlegende linke Kritik an den Verhältnissen ist im Zentrum der Politik angekommen.
Wie immer die politische Zukunft von Sanders und Corbyn auch aussehen mag: In ihren Ländern haben sie das politische Spektrum bereits jetzt ein wenig nach links gerückt. Und die alte Frage, ob Sozialdemokraten (oder für die USA die Demokraten) nur in der Mitte gewinnen können oder ob sie nicht doch ein klareres linkes Profil zeigen müssen, hat eine neue Aktualität bekommen.