Georg Hoffmann-Ostenhof: Angedockt und wachgeküsst

Der Doppeladler machte Triest zur Weltstadt. Jetzt könnte es durch den chinesischen Drachen wieder dazu werden.

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Zu Triest haben wir Österreicher eine sentimentale Beziehung. War das nicht einmal „unser“ Hafen, damals, als Österreich noch am Meer lag? Auch alte familiäre Verbindungen mögen vielen von uns die norditalienische Stadt an der Adria nahebringen. Mir zum Beispiel: Wir besuchten in meiner Kindheit am Weg zu unseren italienischen Strandurlauben immer wieder den Triestiner Onkel Giulio. Und schließlich: Machten und machen nicht Millionen österreichische Jesolo-, Grado- und Caorle-Reisende auch zuweilen einen Abstecher nach Triest?

Die von der Bora durchwehte Metropole bezaubert bis heute mit ihren klassizistischen und historistischen Palais; mit ihren eleganten Kaffeehäusern, in denen große Literaten wie Italo Svevo und James Joyce verkehrten; mit dem Castel di San Giusto oberhalb der Stadt und dem weißen Schloss Miramar, das einst Kaiser Franz Josephs Bruder Maximilian, der spätere unglückselige Monarch von Mexiko, für seine Frau gebaut hatte und in dem Rainer Maria Rilke seine „Duineser Elegien“ schrieb. Kurz: Triest nimmt den Besucher mit dem melancholischen Charme untergegangener Größe gefangen.

Bedeutend war die Stadt einst tatsächlich. Dessen wurde Anfang vergangener Woche gedacht. Man beging feierlich ein Jubiläum: 300 Jahre Freihafen Triest.

1719 verlieh der Habsburger Karl VI. der Stadt diesen Status, der ihr zu einem beeindruckenden Aufschwung verhalf. Triest lief Venedig bald den Rang als wichtigster Knotenpunkt des maritimen Fernhandels ab und avancierte nach Wien, Budapest und Prag zur viertgrößten Stadt des österreichisch-ungarischen Imperiums.

Als die Monarchie unterging, war es mit der Triestiner Blüte vorbei. Von der Geschichte an den Rand gedrängt, verfiel die einst vibrierende kosmopolitische Handelsmetropole in eine Art Dornröschenschlaf. Erst mit dem Ende des Kommunismus begann sich Triest ein wenig zu erholen. Doch von der einstigen mediterranen Munterkeit ist die Stadt noch weit entfernt.

„Trieste è una donna“, Triest ist eine Frau, stellte einst der legendäre Schriftsteller und Buchhändler Umberto Saba in seinem berühmten, der Stadt gewidmeten Gedicht fest. Eine schlafende Schöne, die offenbar darauf wartet, wachgeküsst zu werden. Nun ist es so weit. Das Warten hat ein Ende. Und siehe da: Der Prinz, der sie aufzuwecken verspricht, kommt aus der Ferne. Er nennt sich Xi Jinping.

Triest soll für China das Tor nach Europa werden.

Vergangene Woche traf der chinesische Staatspräsident in Rom ein. Sieben EU-Länder partizipieren bereits an der Neuen Seidenstraße, jenem gigantischen Infrastrukturprojekt Pekings, das zu Land und zu See das Reich der Mitte mit der Welt verbinden soll. Nun hat auch die Regierung in Rom ein Memorandum unterschrieben, das Italien ebenfalls zu einer wichtigen Station auf der chinesischen Seidenstraße macht.

Im Zentrum des chinesischen Interesses an Italien steht Triest. Es soll für China das Tor nach Europa werden. Peking stellt gewaltige Investitionen, nicht zuletzt in den Ausbau der Hafenanlagen, in Aussicht. Die Chinesen versprechen sich von ihrem Engagement in Triest günstige Zollbedingungen, eine schnellere Handelsroute ins Herz des Kontinents und einen direkten Zugang zu Bahnlinien, auf denen die chinesischen Waren schnell in die EU gebracht werden können.

„Unser Hafen kehrt zur logistischen Rolle zurück, die er schon einmal für das alte Habsburgerreich hatte – zu einer Rolle, die er dieses Mal für ganz Europa spielen wird“, schwärmt Zeno d’Agostino, der Chef der Hafenbehörde. Und die populistische Regierung in Rom erhofft sich, durch die Teilnahme an der chinesischen Seidenstraße jene Investitionen ins Land zu holen, die Italien aus seiner permanenten Wirtschaftsmisere herausholen könnten.

Im Westen jedoch schrillen die Alarmglocken. Besonders scharf schießen die Amerikaner gegen den sino-italienischen Flirt: „Die Teilnahme am Seidenstraßen-Projekt legitimiert den räuberischen Charakter der chinesischen Investitionspolitik“, hört man aus den USA. Washington schickte sogar Steve Bannon, den rechtsnationalistischen Ex-Wahlkampfleiter von Donald Trump, vor, um seinen Gesinnungsgenossen in Rom den Deal mit China auszureden. Vergeblich. Auch Brüssel ist skeptisch. Immer mehr fürchten die Europäer den ökonomischen Expansionismus des, wie es seit Kurzem heißt, „systematischen Rivalen“. Die EU will gegenüber dem immer mächtiger werdenden China in Zukunft selbstbewusster auftreten.

Natürlich muss der Westen aufpassen, dass die Investitionen aus der staatskapitalistischen KP-Diktatur im Fernen Osten nicht die eigene Sicherheit untergraben und Abhängigkeiten schaffen. Aber man sollte doch die Proportionen wahren. Trotz der spektakulären Einkaufstouren der Manager aus Peking und Shanghai in der EU: Das chinesische Investitionsvolumen insgesamt ist noch immer kleiner als jeweils jenes der USA, Kanadas, ja, auch der Schweiz. Große Angst vor den Chinesen ist also (noch) nicht angebracht.

So finde ich mich in der chinesischen Frage auf der Seite der rechtsnationalen Regierung in Rom wieder – gegen Brüssel und Washington. Nicht zuletzt auch aus meiner Liebe zu Triest, das in Zukunft zu seiner Pracht und Herrlichkeit zurückkehren könnte, diesmal eben nicht unter dem österreichischen Doppeladler, sondern unter dem Zeichen des chinesischen Drachens.

Und vielleicht gibt es demnächst wieder eine direkte Zugverbindung zwischen Wien und Triest.

Georg Hoffmann-Ostenhof