Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Angstlüstlinge

Angstlüstlinge

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Der deutsche Historiker Michael Stürmer verglich vor einigen Jahren das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit der Wochenzeitschrift „The Economist“. Während das britische Blatt ironisch-distanziert, auf die Vernunft und den freien Markt vertrauend, meist zuversichtlich in die Zukunft blicke, diagnostiziert Stürmer beim „Spiegel“ eine „misanthropische Grundstimmung, Selbsthass und Angst“.

Er führt diese Differenzen auf Geburtsprägungen der beiden Medien zurück: Der „Economist“ wurde Mitte des 19. Jahrhunderts, als „Britannia ruled the waves“ (die Meere beherrschte) gegründet und begann, mit liberalem Sendungsbewusstsein und Optimismus über die Welt zu schreiben. Die ersten Ausgaben des „Spiegel“ aber erschienen kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, „als Deutschland darniederlag: besiegt und geteilt, bestraft, beschämt und gedemütigt – die Vergangenheit verloren und die Zukunft verstellt“. Stürmer fasste seine Analyse zusammen: „Der ,Economist‘ kommt aus den Träumen des 19., der ,Spiegel‘ aus den Albträumen des 20. Jahrhunderts.“ Da mag viel Zeit seit der Gründung der Zeitschriften verstrichen sein – die Unterschiede im Realitätszugang der beiden Blätter bleiben, ja, sie spiegeln die jeweiligen Mentalitäten der Deutschen (wohl auch der Österreicher) und der Engländer wider.

Als langjähriger Leser sowohl des „Spiegel“ als auch des „Economist“ weiß ich: Wunderbar informativ sind beide. Aber die Lektüre von Letzterem lässt mich regelmäßig mit wohligem Gefühl zurück, jene von Ersterem erzeugt in mir nicht selten eine depressive Verstimmung. Denn das deutsche Intelligenz-Medium führt uns immer wieder vor Augen, mit welch rasendem Tempo wir dem Weltuntergang entgegensteuern, was uns alles nach Gesundheit und Leben trachtet, und wie sich die Lage unweigerlich verschlechtert.

Die treffende Stürmer-Analyse kam mir in den Sinn, als ich die „Spiegel“-Ausgabe der vergangenen Woche zur Hand nahm. Das Cover überraschte. Die überaus reiche, prosperierende und gut funktionierende Bundesrepublik firmiert da als „Bröckelstaat“. Dem Leser wird in der Unterzeile versprochen, im Inneren zu erfahren, „wie wir Zukunft und Wohlstand verspielen“. Und sollte ihn da nicht schon das Grauen befallen haben, wird er mit der Ankündigung zweier anderer Artikel bedient: „Ebola außer Kontrolle“, heißt es da. Und „Todesberg Mont Blanc“.

Umso erstaunlicher, dass sich inmitten dieses „Spiegel“-Universums von Bedrohung und Niedergang das Porträt eines Mannes findet, der es sich zur Lebensaufgabe gestellt hat, den nicht nur in Deutschland grassierenden und seiner Einschätzung nach durch nichts gerechtfertigten Geschichtspessimismus zu bekämpfen. Und zwar mit Statistiken.

Man würde es nicht glauben. Aber mit seinen Tabellen und Grafiken ist der schwedische Universitätsprofessor Hans Rosling im angelsächsischen Raum ein veritabler Star geworden, in unseren Breiten aber bislang weitgehend unbekannt geblieben. Vor Kurzem hielt Rosling auch in Wien einen Vortrag. Der fand freilich medial nur wenig Widerhall. Und das ist ein Jammer. Denn aufklärender als er kann kaum einer sein. Und, ja, unterhaltsamer auch nicht.

Bei seinen rasanten Performances zeigt der Mann, von dem gesagt wird, dass er „die Statistiken zum Singen bringt“, mithilfe von animierten Grafiken, welche gewaltigen Fortschritte die Menschheit im vergangenen halben Jahrhundert gemacht hat. Und zwar in fast allen wesentlichen Bereichen der „condition humaine“: Der Anteil der Armen an der Weltbevölkerung hat sich in diesem Zeitraum halbiert, die Alphabetisierung machte in einem unvorstellbaren Maß Fortschritte. Die Lebenserwartung ist emporgeschnellt. Und die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau zur Welt bringt, hat sich mehr als halbiert. Alles Entwicklungen, welche die menschliche Existenz von Grund auf revolutionieren.

Und was Rosling mit seinen nackten Zahlen und Kurven so eindrucksvoll demonstriert, ist keineswegs trivial. Den meisten Applaus und die lautesten Lacher bekommt er, wenn er jene Umfrageergebnisse zitiert, die beweisen, mit welcher mieselsüchtigen Ignoranz im Westen die Welt betrachtet wird. So sind die Geburten pro Frau in Bangladesch seit 1972 von durchschnittlich sieben auf jetzt zwei gefallen. In einer Multiple-Choice-Fragestellung gaben nur zwölf Prozent der Leute die richtige Antwort. Ebenso unwissend waren diese, als nach dem Anteil jener an der Weltbevölkerung gefragt wurde, die lesen und
schreiben können. Nur acht Prozent machten das Kreuz an der richtigen Stelle. Die korrekte Antwort lautet 80 Prozent. So gesehen, ätzt Rosling, seien Affen klüger als Menschen, die würden nämlich bei einer Frage mit vier Antwortkästchen nach dem Zufallsprinzip zu 25 Prozent richtigliegen.
Rosling verbreitet nicht nur die passive Auffassung, dass schon alles gut werde. Er verweist immer wieder auf die Möglichkeit, etwas dafür zu tun. Bill Gates sagt, dass eine Präsentation Roslings über die Effektivität von Gesundheitsprojekten einer der wesentlichen Anstöße für seine Entscheidung war, viele Milliarden Dollar in solche Projekte zu investieren.

PS: Zweifellos schlagen die weltpolitischen Ereignisse der vergangenen Monate aufs Gemüt. Als Stimmungsaufheller empfehle ich: Gehen Sie auf YouTube und tippen sie „Hans Rosling“ ein. Mehrere Millionen vor Ihnen haben das schon getan, und durch die Betrachtung der Auftritte des schwedischen Professors nicht nur bessere Laune, sondern auch eine realistischere Sicht auf die Welt bekommen.

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