Georg Hoffmann-Ostenhof: Aufschwünge, Abstürze
Bis vor Kurzem hatten die zwei Freunde allen Grund, gut gelaunt zu sein. Sowohl Wladimir Putin als auch Donald Trump konnten den Eindruck bekommen, dass sie unangreifbar seien, nichts ihnen etwas anhaben könne.
Seit wenigen Wochen muss man sich freilich sowohl im Kreml als auch im Weißen Haus ernsthafte Sorgen machen. Die gute Laune ist verflogen. Was ist passiert?
Donald Trump konnte die längste Zeit tatsächlich guten Mutes sein. Es ist paradox. So vulgär, so rassistisch und verrückt konnte sich der Präsident gar nicht gebärden, dass er Anhänger verloren hätte. Im Gegenteil, gerade das erratische Verhalten, die Paranoia und die permanenten Provokationen des US-Präsidenten haben seine Wähler zu einer verschworenen Gemeinschaft, zu einer Art Sekte zusammengeschweißt, die ihrem Guru durch dick und dünn folgt.
Nichts ficht sie an: nicht, dass Trump ein pathologischer Lügner ist, nicht, dass er die Institutionen der amerikanischen Demokratie frontal attackiert, und nicht, dass sich mehr und mehr der Verdacht verdichtet, die Russen würden ihn – wie auch immer – in der Hand haben. Seit seinem Amtsantritt sagen konstant um die 40 Prozent der Amerikaner ja zu Donald Trump. In letzter Zeit waren es sogar etwas mehr.
80 Prozent der Parteibasis stehen fest hinter Trump.
Alle Hoffnungen seiner Gegner, dass es die Republikaner, deren Kandidat für die Präsidentschaft er war, zerreißen werde, wurden enttäuscht. 80 Prozent der Parteibasis stehen fest hinter Trump. Und das angeblich moderate und zivilisierte Parteiestablishment, die republikanischen Abgeordneten und Senatoren, die er allesamt noch bei den Vorwahlen aufs Ordinärste beschimpft hatte, huldigen dem Führer – in obszöner, fast nordkoreanischer Art. Da schert keiner aus.
Die blendenden US-Wirtschaftszahlen (niedrigste Arbeitslosigkeit seit Langem, robustes Wachstum, boomende Börse) beflügelten zudem Trumps Zuversicht, dass auch nach den Zwischenwahlen kommenden November seine Republikaner die Mehrheit im Kongress behalten würden und er dann 2021 seine zweite Amtszeit antreten könne.
Seit einigen Tagen sieht es für ihn jedoch gar nicht mehr so rosig aus. Davon aber später.
Auch Putin schien unverwundbar zu sein. Bis vor Kurzem befand sich der russische Staatschef geradezu auf einem Höhenflug. Vielleicht waren die 70 Prozent bei den Präsidentenwahlen im vergangenen März nicht ganz regulär errungen. Aber dass seine Herrschaft trotz massiver Repression und trotz sinkenden Lebensstandards stark im Volk verankert ist, zeigt auch die Meinungsforschung. Seit der Annexion der Krim hatte Zar Wladimir stabil Zustimmungsraten bis zu 80 Prozent.
Die überraschende Meldung: Putin stürzt in den Umfragen dramatisch ab.
Er ist auch außenpolitisch erfolgreich. Sein Bündnispartner Bashar al-Assad in Syrien befindet sich auf der Siegerstraße: Moskau hat wieder einen Fuß im Nahen Osten. Und auch sonst punktet Putin. Mit der offenen wie auch verdeckten Unterstützung von Nationalisten überall versucht er, Europa, die USA und den Westen insgesamt zu spalten und zu destabilisieren. Wie man sieht, mit einigem Erfolg. Die Zeit, als Trumps Vorgänger Barack Obama über Russland als bloße Regionalmacht spottete, ist jedenfalls vorbei. Russland spielt wieder in der ersten Liga der Weltpolitik. Mehr noch: Beim jüngsten Helsinki-Treffen konferierte Putin nicht nur auf Augenhöhe mit dem Präsidenten der Supermacht USA, Trump trat dem Russen in fast unterwürfiger Haltung gegenüber. Jeder konnte das via TV sehen. Es war ein Triumph für den Kreml-Chef.
Aber gerade als Russland mit der Fußball-WM in Moskau die wiedererlangte Weltbedeutung spektakulär feiern konnte, kam die überraschende Meldung: Putin stürzt in den Umfragen dramatisch ab.
Der Grund: eine geplante Pensionsreform. Die Männer sollen nicht mehr wie seit Stalins Zeiten mit 60, sondern mit 65, die Frauen nicht mehr mit 55, sondern erst mit 63 Jahren in Rente gehen können. Was in unseren Breiten als vernünftiges Projekt durchgehen könnte, ist für die Russen eine Katastrophe. Angesichts einer Lebenserwartung, die für Männer durchschnittlich nur 66,5 Jahre beträgt, müssen viele befürchten, nie in den Genuss der ohnehin erbärmlichen Pension zu kommen.
So patriotisch aufgeganselt und politisch apathisiert können die Russen gar nicht sein, als dass sie sich nicht gegen einen derartigen Anschlag auf ihr Leben wehren würden. Seit 14 Tagen gehen sie zu Zehntausenden auf die Straße.
Und nichts fürchtet Putin mehr, als Bewegungen von unten. Davor hat er panische Angst.
Nun scheint Trump vollends durchzudrehen.
Panik auch in Washington. Seit der Sonderermittler Robert Mueller Audiodateien beschlagnahmt hat, welche die Aufzeichnungen von über 100 Gesprächen Trumps mit seinem persönlichen Anwalt Michael Cohen beinhalten, ist die Nervosität groß. Zudem wurde klar: Cohen, der für Trump jahrelang den Mann fürs Grobe spielte, will „auspacken“, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Nun scheint der Präsident vollends durchzudrehen: Von seinem Mantra „no collusion“ – keine geheime Absprache mit den Russen – ist das Weiße Haus dazu übergegangen, „collusion is no crime“ zu trommeln. Und Trump drängt seinen Justizminister ganz offen, dafür zu sorgen, dass die Collusion-Ermittlungen sofort eingestellt werden, was von Rechtsprofessoren als „obstruction of justice“, also verbrecherische Behinderung der Justiz, angesehen wird. Offenbar hat Trump allen Grund, panisch zu werden.
Was diese jüngsten Entwicklungen in Russland und den USA für die Zukunft bedeuten, ist noch nicht absehbar. An eine tiefe geschichtsphilosophische Erkenntnis aus Wien darf hier dennoch erinnert werden: „Es sind auch schon Hausherren gestorben.“