Georg Hoffmann-Ostenhof: Bernie, Bernie

Georg Hoffmann-Ostenhof: Bernie, Bernie

Warum ein Sozialist, Bernie Sanders, Hillary Clinton nervös macht.

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Man soll keine Voraussagen machen. Man kann sich zu leicht blamieren. Diesmal sei es dennoch gewagt: Bernie Sanders, der Senator aus dem kleinen ländlichen US-Bundesstaat Vermont, der Hillary Clinton die demokratische Präsidentschaftskandidatur streitig machen will, wird es nicht schaffen. Da mag er – seit er seine Ambitionen für das Weiße Haus bekannt gegeben hat – in Umfragen stetig den Beliebtheitswerten der ehemaligen First Lady und Außenministerin näher kommen. Inzwischen drängen zu seinen Veranstaltungen auch mehr Menschen als zu jenen der anderen über 20 Anwärter auf das höchste politische Amt in den USA. Hillary ist dennoch von Bernie nicht einzuholen. Sie bleibt mit einiger Sicherheit die demokratische Kandidatin für die Nachfolge von Barack Obama.

Das Ausmaß an Sympathie, das Sanders – von seinen Anhängern nur mit dem Vornamen Bernie genannt – nun entgegengebracht wird, erstaunt und überrascht dennoch. Denn er ist etwas, was „unamerikanischer“ nicht sein kann: Sozialist. So bezeichnet er sich selbst. Und alle Versuche, ihm das auszureden, sind bislang fehlgeschlagen. Bernie Sanders ist seit eh und je ein politisches Unikum.

Vor 74 Jahren wurde er in eine jüdische Familie in New York geboren. Die gesamte Verwandtschaft seines aus Polen eingewanderten Vaters überlebte den Holocaust nicht. Bevor sich Bernie in Vermont niederließ, hatte er sich in den wilden 1960er-Jahren in den verschiedensten linken, antimilitaristischen und antirassistischen Bewegungen und Organisationen engagiert. Drei Mal wurde er in Burlington, der größten Stadt Vermonts, zum Bürgermeister gewählt. 1990 zog er in das Repräsentantenhaus ein, das er nach 16 Jahren verließ, um seinen Bundesstaat im Senat zu vertreten. Er ist der erste und bisher einzige sozialistische Senator der USA. Was aber macht ihn jetzt so populär?

Warum hat der Sozialismus in Amerika bisher keine Chance gehabt, warum ist in der Neuen Welt im Unterschied zu den meisten Ländern Europas keine linke Volkspartei entstanden, keine politische Organisation der Arbeiterklasse?

Gewiss: Seine uneitle und nüchterne Art, in der er Inhalte in den Vordergrund rückt und nicht seine Person, seine dezidierte Weigerung, die Rivalen zu beschimpfen und zu denunzieren – all das lässt ihn als angenehmes Kontrastprogramm zu seinen republikanischen und demokratischen Mitbewerbern erscheinen.

Aber um wirklich das Phänomen Sanders 2015 zu verstehen, gilt es, eine immer wieder gestellte Frage zu beantworten: Warum hat der Sozialismus in Amerika bisher keine Chance gehabt, warum ist in der Neuen Welt im Unterschied zu den meisten Ländern Europas keine linke Volkspartei entstanden, keine politische Organisation der Arbeiterklasse?

„Die amerikanischen Arbeiter sind auf der Straße ‚Bürger‘, ihrem Auftreten nach: working-gentlemen und working-ladies“, beobachtete der deutsche Soziologe Werner Sombart Anfang des 20. Jahrhunderts. „Rein äußerlich fehlt das Stigma der Sonderklasse, wie es fast alle europäischen Arbeiter an sich tragen.“ Diese hatten bei ihrer politischen Organisierung gegen feudale Strukturen und Absolutismus zu kämpfen. Das gab es in Amerika nicht. Von Anfang an waren die amerikanischen Arbeiter in einer (abgesehen von der Sklaverei) egalitären Gesellschaft integriert.

Zudem herrschte im 19. Jahrhundert eine extreme Arbeitskräfteknappheit. Selbst wer gerade erst aus Europa eingewandert war, konnte dem Unternehmer seine Arbeitskraft teuer verkaufen – individuell und ohne Zwang zum solidarischen Handeln. Der Lebensstandard der amerikanischen Unterschicht war lange Zeit um einiges höher als jener in Europa. Vor allem aber: Die USA waren eine auf Leistung basierende und sozial mobile Gesellschaft, in der jeder – real oder zumindest in der Fantasie – seine Chance hat, aufzusteigen.

Das Thema der Ungleichheit hat eine veritable Karriere gemacht.

Heute löst sich die relative Prosperität der (weißen) Unterschicht gerade auf, Jahrzehnte sinkender Löhne, der massive Abbau staatlicher Leistungen und die große Rezession haben den Mythos der amerikanischen Meritokratie erschüttert. Die USA haben heute eine geringere soziale Mobilität als die meisten europäischen Länder. Und langsam dämmert immer mehr US-Bürgern, dass die uramerikanische Vorstellung, durch harte Arbeit könne es letztlich jeder nach oben schaffen, eine Illusion ist.

Vor diesem Hintergrund hat das Thema der Ungleichheit in den vergangenen Jahren eine veritable Karriere gemacht. „Occupy Wall Street“ machte damit Furore. Präsident Obama war mit der Kritik daran erfolgreich. Und auch die nach links gerückte Hillary Clinton stellt nun den Kampf gegen „inequality“ ins Zentrum ihrer Wahlkampagne.

Sanders positioniert sich nun noch ein Stückchen weiter links von ihr. Aber so radikal, wie er von seinen Gegnern dargestellt wird, ist er mitnichten. Er hat in seinem Programm: zwei Wochen gesetzlichen Urlaub, Mutter-Karenz, eine Krankenversicherung für alle und ähnlich Revolutionäres. Als Vorbild für ein Amerika, das er bauen will, gilt ihm der Wohlfahrtsstaat skandinavischer Prägung.

Nach europäischen Begriffen ist Bernie Sanders ein gemäßigter Sozialdemokrat und kann nicht zuletzt als deklarierter Sozialist Anklang finden, weil der Begriff Sozialismus an Schrecken verloren hat: Die Sowjetunion ist vor einem Vierteljahrhundert untergegangen. Nur wenige leben noch, welche die McCarthy-Ära bewusst erlebt haben. Und zu der Entdämonisierung dieser politischen Kategorie hat sicherlich beigetragen, dass die amerikanische Rechte immerzu vor dem „Sozialisten Obama“ warnt.

Dessen Nachfolger wird Bernie nicht. Aber der Hype um den Senator aus Vermont signalisiert einen Paradigmenwechsel. Vielleicht hat Sozialdemokratisches just in dem Moment eine amerikanische Zukunft, in dem in unseren Breiten der demokratische Sozialismus voll im Niedergang begriffen scheint.

Georg Hoffmann-Ostenhof