Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Bilderbruch

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„Die Shoah ist das schlimmste Verbrechen der Geschichte.“ So distanzierte sich Marine Le Pen, die Chefin des französischen Front National, in einem vergangene Woche erschienenen profil-Interview von den antisemitischen Auslassungen von Jean-Marie Le Pen, ihrem Vater und Vorgänger an der Spitze der französischen Rechtsextremen. Dieser hatte die Nazi-Vernichtungslager noch als „Details der Geschichte“ verharmlost. Mit solchen Ansichten will Frau Le Pen nichts mehr zu tun haben. Umso klarer warnt sie vor einer „Islamisierung“ Europas, vor den fundamentalistischen Muslimen, welche „die Gesetze der Republik beugen und uns ihre religiösen Gesetze aufzwingen wollen“.

Anfang der vergangenen Woche schockierte eine Umfrage die französische Öffentlichkeit: Frau Le Pen würde, fänden jetzt Präsidentschaftswahlen statt, im ersten Durchgang sowohl das amtierende Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy als auch die PS-Chefin Martine Aubry schlagen. Das Entsetzen verringerte sich nur geringfügig, als neue Umfragen Le Pen nicht mehr als Erste im Zieleinlauf sahen: Aber – so diagnostizieren auch sie – es wird jedenfalls ein knappes Rennen.

Was ist da passiert? Ein Popularitätstief für Sarkozy, eine linke Opposition, die nicht und nicht klare Antworten auf die brennenden Probleme und glaubhafte personelle Alternativen findet, und die Absage an den in Westeuropa hoch tabuisierten Antisemitismus – all das lässt Le Pen punkten. Sie erscheint zudem viel moderner und freundlicher als ihr Vater mit seinem verbissenen Retrostil. Was aber die Rechtsextremen in letzter Zeit so erfolgreich macht, ist vor allem ihre Politik der Angst vor den Muslimen. Und das gilt nicht nur in Frankreich.

Wir in Österreich wissen das nur allzu gut. Bis zum 11. September 2001 hetzte man hierzulande gegen die „Tschuschen“ und gegen die Ausländer im Allgemeinen, die uns angeblich die Arbeit wegnehmen. Seit Bin Laden in New York zuschlug und George W. Bush den „Krieg gegen den Terror“ erklärte, bekam die Angst vor den Fremden ein anderes Gesicht. Die Xenophobie wurde sakralisiert. Da geht es nun nicht mehr um Ausländer schlechthin, nicht um andere Ethnien, die es abzuwehren gelte, sondern um Religion. Der Koran sei eine Anleitung zur Gewalt. Der Glauben mache Muslime unfähig zu und feindselig gegenüber Demokratie. Im „Kampf der Kulturen“ sei der Machtanspruch des Islam zurückzuweisen. „Pummerin statt Muezzin“.

Ein Königsweg für die Rechtsaußen-Kräfte Europas: Im Unterschied zum Antisemitismus – von dem sie jetzt fast überall demonstrativ Abschied nehmen, weil sie mit ihm ­politisch ohnehin nichts „reißen“ – finden sie sich mit ihrer Anti-Islam-Propaganda plötzlich im Zentrum der Gesellschaft wieder. Sie sprechen damit Schichten an, die sich bisher vor ihnen eher geekelt haben. Ja selbst progressive Kreise fühlen sich verstanden, wenn da die Unterdrückung der Frau in den islamischen Gesellschaften gegeißelt und Parallelgesellschaften dämonisiert werden, welche die Errungenschaften eines liberalen Rechtsstaats infrage stellen sollen.

Dabei mussten Frau Le Pen, H. C. Strache, Geert Wilders, Filip Dewinter & Co gar nicht ernsthaft in die Mitte rücken. Die Mitte selbst rückte nach rechts. Als der ehemalige freiheitliche Chefdenker Andreas Mölzer zum Kampf gegen die „Überfremdung“ der Heimat aufrief, gehörte es zum guten Ton, sich über diesen gestrigen Radikalismus zu entrüsten. Wenn jedoch heute der frühere sozialdemokratische Politiker und deutsche Bundesbanker Thilo Sarrazin davon spricht, dass sich Deutschland mit der Islamisierung abschaffe, dann wird er ein Held deutscher Mehrheiten, der nur ausspricht, was alle ohnehin denken. Und in den Salons und Redaktionen werden seine pseudowissenschaftlichen Ergüsse ernst genommen.

Ist also der Rechtsruck Westeuropas besiegelt und der Aufstieg der Rechtspopulisten unaufhaltsam? Wohl nicht. Wie so oft schlägt die Geschichte eine unerwartete Volte. Das Erwachen der arabischen Welt ist eine solche. Und diese Wende stellt vieles, was vor Kurzem noch als selbstverständlich galt, infrage. Die Rebellion, die, von Tunesien und Ägypten ausgehend, die gesamte Region erfasst, widerlegt die Grundannahmen, mit denen der antiislamische Populismus hantiert. Da bleibt nicht viel übrig.

Die Araber haben mit Demokratie nichts am Hut? Diejenigen, die nun ihre Tyrannen stürzen, geben als erstes Ziel ihres Kampfs an: Freiheit und Demokratie. Islamischer Totalitarismus leitet die muslimischen Gesellschaften? Die Islamisten spielen in den aktuellen nahöstlichen Revolutionen kaum eine Rolle. Und siehe da: Die muslimischen Frauen, die man hierzulande bloß als Opfer bemitleidet, stehen – ob nun verschleiert oder nicht – an vorderster Front der neuen Befreiungsbewegungen. Was ist mit dem „Clash of Civilizations“? Die Idee erweist sich als blanker Unsinn: Antiwestliche Aufwallungen sind bei den Millionen Arabern, die nun von Bahrain bis Benghazi, von Kairo bis Amman und von Tunis bis Muskat mobilisiert sind, nicht zu registrieren. Bis jetzt zumindest.

Plötzlich stimmen die Bilder, die sich die Menschen vom Islam, von den Arabern und vom Fortgang der Geschichte machen, so gar nicht mehr. Naiv wäre es freilich zu glauben, diese Bankrotterklärung einer Ideologie würde kurzfristig die Rechtsextremen schwächen. Vorurteile verändern sich nur langsam und sind ziemlich immun gegenüber realen Erfahrungen. Auch könnten antiislamische Populisten wieder im Trüben fischen, sollten sich Flüchtlingsströme aus Nord­afrika nach Europa schieben.

Aber wenn der vermeintliche Feind jäh auffällig sympathische Züge annimmt, kann das dann doch auf lange Sicht nicht ohne Wirkung bleiben.

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Georg Hoffmann-Ostenhof