Georg Hoffmann-Ostenhof: Es geht nicht nur um Deutschland

Wer CDU-Vorsitzender (und deutscher Kanzler) werden soll – und wer nicht.

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Man darf gerührt sein. Da nimmt die Chefin der CDU, der konservativen Regierungspartei Deutschlands, den Hut, weil eine der CDU-Landesparteien einen Liberalen auf den Posten des Ministerpräsidenten hievte, obwohl dieser auch die Stimmen der rechtsradikalen AfD bekam.

Nein, Annegret Kramp-Karrenbauer dankte nicht ab, weil sie selbst mit der AfD geliebäugelt oder eine Koalition ihrer Partei mit den Radikalrechten in einem der Bundesländer akzeptiert hätte. Die Abgeordneten der Thüringer CDU ließen bloß zu, dass die AfD-Kollegen mit ihnen stimmten. Und Frau Kramp-Karrenbauer konnte dies nicht verhindern. Das hat letztlich für ihren Rücktritt gereicht.

Natürlich kann man die österreichischen nicht mit den deutschen Verhältnissen vergleichen. Bei uns laufen die Dinge anders. Die ÖVP ist nicht die CDU, die FPÖ nicht die AfD. Und doch ist der Kontrast bemerkenswert: Die Prinzipienfestigkeit, mit der sich der deutsche Konservativismus (bisher zumindest) von Rechtsaußen abgrenzt, beeindruckt. Der – man könnte fast sagen – gelebte Antifaschismus der CDU nötigt uns gelernten Österreichern Respekt ab. Ein wenig neidisch kann man schon werden.

Mitten in der Krise, in der die CDU seit einiger Zeit steckt, muss sie sich also nun auf die Suche nach einem neuen Parteichef oder einer neuen Parteichefin machen. Das erweist sich als schwierig. Gleich vier Männer rittern bislang um den Posten. Es könnten noch mehr werden. Wer das Rennen schlussendlich macht, ist völlig offen.

Europa würde mit einem Bundeskanzler Merz auch nicht glücklich werden.

Angesichts der vielen dramatischen Ereignisse, die täglich die Welt erschüttern, erscheint der Kampf um den CDU-Parteivorsitz nicht gerade als der Aufreger schlechthin. Gleichwohl entscheidet sich in ihm Weitreichendes, ja Weltbewegendes.

Fix ist jedenfalls: Die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt bei der nächsten Wahl nicht mehr an. Ob nun bereits dieses oder planmäßig erst nächstes Jahr zu den Urnen gerufen wird – kaum jemand zweifelt daran, dass der oder die Vorsitzende der CDU die kommende Regierung anführen wird. In welcher Konstellation auch immer. Dass die aufstrebenden Grünen noch die Schwarzen überholen, ist dann doch unwahrscheinlich. Wer aber in Berlin regiert, bestimmt in hohem Maße über das Schicksal Europas, ist Deutschland doch das größte und wirtschaftlich mächtigste Land der EU.

Die Frage, wer an der Spitze der deutschen Christdemokraten steht, ist nicht bloß eine deutsche Angelegenheit. Wie sieht also aus europäischer Sicht das Anforderungsprofil für die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer und in weiterer Folge von Angela Merkel aus? Was sollte die Job Description sein?

Zunächst ist von allerhöchstem Interesse, dass kein Nationalist Deutschland regiert. Europa verkraftet gerade noch, wenn in kleinen oder relativ unbedeutenden EU-Mitgliedsstaaten Rechtspopulisten oder Rechtsextreme an die Macht kommen. Wäre das aber in Deutschland der Fall, um das europäische Einigungsprojekt wäre es wohl geschehen.

Merkels international hohes Ansehen ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sie durch so viele Jahre hindurch, in denen die EU in gleich mehreren Krisen steckte, mit ruhiger Hand und unaufgeregt europäische Politik betrieb. Vor allem zeigte sie auch, nicht zuletzt mit ihrer klaren Haltung in der Migrationsfrage, wie fremd ihr deutscher Chauvinismus und Nationalismus sind. Das brachte ihr Respekt, ja Bewunderung ein – auch vor dem Hintergrund, dass nach wie vor subkutan die historisch begründete Angst vor nationalen „deutschen Sonderwegen“ umgeht.

Ihr Nachfolger sollte demnach diesen antinationalistischen Aspekt der Politik Merkels fortsetzen. Der oder die Neue sollte gleichzeitig – und das hofft allen voran Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron – weniger als Merkel auf der Bremse stehen, wenn es darum geht, die europäische Integration zu vertiefen und der EU verstärkt Handlungsfähigkeit zu verleihen. Brüssel sollte angesichts der gewaltigen globalen Herausforderungen, vor denen Europa steht, vom Reagieren ins Agieren kommen. Gerade auch in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU.

Schließlich erwartet nicht nur Paris, dass Deutschland unter neuer Führung endlich von der obsessiven Abscheu vor jeglichem staatlichen Schuldenmachen abgeht. Auf immer mehr Unverständnis stoßen die Deutschen mit ihrem Stolz auf die „schwarze Null“ – auch in einer Zeit wie dieser, in der die deutsche Wirtschaft gerade an einer Rezession vorbeischrammt.

Welcher der Prätendenten auf den CDU-Vorsitz entspricht nun am ehesten der europäisch verfassten Job Description? Diese Frage ist verfrüht. Noch haben die bisherigen vier Anwärter – skurrilerweise allesamt Katholiken aus Nordrhein-Westfalen – keine programmatischen Ansagen gemacht. Aber klar ist bereits heute: Der in der CDU als Favorit gehandelte einstige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz dürfte nicht der Favorit Europas sein.

Der langjährige Kontrahent Angela Merkels vertritt einen harten Neoliberalismus, wie er vor 20 Jahren en vogue war, ist ein vehementer Kritiker der auf Inklusion und Offenheit ausgerichteten Ausländerpolitik der Kanzlerin und will die Partei – damit aber auch die deutsche Politik insgesamt – von der Mitte nach rechts führen.

Mag sein, dass Merz dem unter Identitätsverlust leidenden deutschen Konservativismus wieder Profil geben könnte. Ob das aber das Profil ist, das die deutsche Politik braucht, ist zu bezweifeln. Und Europa würde mit einem Bundeskanzler Merz auch nicht glücklich werden.

Georg Hoffmann-Ostenhof