Georg Hoffmann-Ostenhof: Der Deal

Warum gerade jetzt die Beziehung des Westens zu den Mullahs in Teheran normalisiert wird.

Drucken

Schriftgröße

Es war bereits seit Längerem klar: Dort wird niemand vom Tisch aufstehen und die Verhandlungen als gescheitert erklären. Seit Monaten hat keiner der Außenminister und keiner der Unterhändler ernsthaft mit dem Abbruch der Gespräche gedroht. Und alle betonen immer wieder, dass man auf dem besten Weg ist, den leidigen Atom-Streit beizulegen.

Da haben die fünf UN-Vetomächte und Deutschland (P5+1) auf der einen und der Iran auf der anderen Seite in den vergangenen zwölf Jahren einfach zu viel an politischem Kapital in die Verhandlungen investiert, um diese im letzten Moment noch platzen zu lassen. Und ein Ende des Konflikts erscheint heute dringlicher denn je.

Für das Mullah-Regime sowieso: Für dieses hat die Perspektive, aus der internationalen Isolation herauszukommen, allein schon ökonomisch höchste Priorität. Und für die andere Seite ist eine Art Normalisierung der Beziehung zu Teheran gleichermaßen angesagt.

Immerhin handelt es sich beim Iran um das global einzige wichtige Land, das außerhalb des internationalen Ordnungssystems steht. Kuba und Nordkorea sind zu klein und marginal, um weltpolitisch relevant zu sein. Persien aber hat Gewicht nicht bloß seiner Größe wegen (es ist flächenmäßig drei Mal so groß wie Deutschland, und gleich groß, wenn es um die Bevölkerung geht), bedeutsam sind die Iraner vor allem durch die Tatsache, dass sie in jedem einzelnen Konflikt, in jeder kriegerischen und nichtkriegerischen Auseinandersetzung des immer turbulenter werdenden Nahen Ostens involviert sind: in Syrien, im Irak, in Afghanistan, im Libanon, in Jemen, im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Wie immer die iranische Rolle in jedem konkreten Fall auch zu bewerten sein mag – Teheran einzubinden in ein internationales System von Verträgen, Bündnissen und gegenseitigen Verpflichtungen, erscheint gerade jetzt wichtig. Wird der Iran als „Schurkenstaat“ weiter draußen gehalten, könnte die Lage in der Region noch explosiver werden, als sie ohnehin schon ist.

Das hat die Welt offenbar erkannt. Vor allem aber ist klarer denn je, dass die Alternative zu einem Atom-Deal gemeingefährlich wäre: Ein Krieg mit dem Iran würde nicht nur unabsehbare desaströse Konsequenzen für den gesamten Nahen Osten nach sich ziehen, eine Militäraktion gegen Teheran wäre geradezu eine Garantie dafür, dass die Mullahs dann, nach ein paar Jahren, ernsthaft und unkontrolliert an der atomaren Aufrüstung arbeiten würden. Bisher hat das iranische Regime ja solche Absichten immer abgestritten.

Gewiss: Die Vorstellung, dass die Islamische Republik – eine grausliche diktatorische Herrschaft, die seit ihrem Bestehen auch so manchen Terror gesponsert hat – die Bombe in die Hand bekäme, kann unerfreulicher nicht sein. Dass die notorische Feindschaft eines Großteils der Welt gegenüber dem Iran aber tiefere Gründe hat, ist ebenso evident.

Verglichen mit dem IS sieht die Herrschaft der Mullahs schon fast zivilisiert aus.

Die Khomeini-Revolution hat den Westen zutiefst schockiert – es war die erste islamisch-fundamentalistische Umwälzung der jüngsten Geschichte. Für die Amerikaner sollte sie sogar traumatisch werden. Nicht nur wurde der Schah, „ihr Mann in Teheran“, gestürzt, die islamischen Revolutionäre nahmen 1979 auch für ein ganzes Jahr das US-Botschaftspersonal in Teheran als Geiseln. Eine unvergessene Erniedrigung. Für die sunnitisch-arabische Welt, allen voran Saudi-Arabien, ist das schiitische Persien eine direkte Konkurrenz im Kampf um die Vorherrschaft in der Region. Und israelische Regierungen haben Teheran systematisch als Außenfeind Nummer eins aufgebaut – nicht zuletzt, um vom realen Konflikt mit den Palästinensern abzulenken.

Diese Gemengelage hat die Atom-Verhandlungen mit Teheran so zäh und langwierig gemacht. Dass jetzt der Durchbruch bevorsteht, ist letztlich auf tektonische Verschiebungen im Nahen Osten zurückzuführen.

Das traditionelle Bündnis Washingtons mit Riad hat sich gelockert. Das saudische Öl ist nicht mehr so wichtig, die USA sind mit ihrer Fracking-Methode Energie-Selbstversorger geworden. Jerusalem, das vehement gegen einen Iran-Deal wettert, verliert – selbstverschuldet – für die Nahost-Politik der Amerikaner ebenso an Bedeutung. Und angesichts des Schreckens, den der „Islamische Staat“ IS des selbst ernannten Kalifen Baghdadi verbreitet, erscheint die iranische Theokratie fast schon als zivilisiert. Gegen den IS kämpft Teheran inzwischen Seite an Seite mit dem Westen und der arabischen Welt.

Freundschaft wird der Westen mit Teheran nicht schließen. Friktionen sind auch nach einem Deal zu erwarten. Dennoch wird, wie es aussieht, ein neues Kapitel aufgeschlagen. Vor allem die iranische Bevölkerung wird dies so empfinden. Unterhalb der erstickenden Herrschaft der Mullahs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine junge und dynamische Gesellschaft herausgebildet, die sich danach sehnt, wieder Anschluss an die Welt zu finden. Ein Atom-Abkommen wird die Hardliner im Land jedenfalls schwächen und den Bewegungsspielraum der Menschen erweitern.

Jenen konservativen Kritikern aber, die sich heute Sorgen darüber machen, was passiert, wenn das Abkommen in zehn Jahren ausläuft und die Beschränkungen des iranischen Nuklearprogramms und dessen internationale Kontrolle beendet werden, sei aber gesagt: Gerade die nun beginnende Détente gegenüber Teheran hat das Zeug, aus dem Iran ein ganz anderes Land zu machen: ein Land, vor dem sich die Welt in keiner Weise bedroht fühlen muss.

Georg Hoffmann-Ostenhof