Georg Hoffmann-Ostenhof: Das Debakel einer Lobby
Es war Anfang 2008. Da traf M. J. Rosenberg, ein langjähriger Aktivist in den verschiedensten US-jüdischen Organisationen, den damaligen Senator Barack Obama. Er fragte diesen, ob er, sollte er Präsident werden, auch jüdischen Pro-Frieden-Gruppen und nicht nur der mächtigen Israel-Lobby Aipac (American Israel Public Affairs Committee) Gehör schenken würde.
Das erzählt Rosenberg in einem kürzlich erschienenen Artikel im US-Magazin „The Nation“. Obamas Antwort sei gewesen: „Ich kann Sie nicht hören.“ Darauf habe er, Rosenberg, lauter gesprochen. Worauf Obama klarstellte: Er meine, dass er, wenn es um Israel gehe, nur von der Lobby höre. „Wenn Ihr gehört werden wollt, dann müsst Ihr euch organisieren, s dass ich euch nicht ignorieren kann.“
So geschah es. Noch im selben Jahr wurde J Street, eine Gruppe liberaler amerikanischer Juden, gegründet, die sich auch als Pro-Israel-Organisation bezeichnet, und für eine neue amerikanische Nahostpolitik wirbt – für eine Politik, die im Gegensatz zur israelischen Regierung und zur Aipac-Lobby offensiv Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und ernsthaft eine Zwei-Staaten-Lösung forciert. Und tatsächlich: Wenn Obama in den vergangenen Jahren traditionelle jüdische US-Organisationen und die Lobbyisten von Aipac ins Weiße Haus lud – die Leute von J Street waren regelmäßig dabei.
Viel ausrichten konnten sie freilich nicht. Von einer Nahost-Friedenslösung ist man bekanntlich weiter entfernt denn je. Und der Druck Washingtons auf Jerusalem hält sich in Grenzen. Dennoch kann sich J Street über einen Sieg freuen. Denn Aipac, ihre bisher unangefochtene rechte Konkurrenz, hat in diesen Tagen eine Bomben-Niederlage erlitten.
Während J Street für den Iran-Deal Obamas mobilisierte, machte Aipac – quasi als Stimme der Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu in den USA – alles, um die Vereinbarung mit Teheran zu torpedieren. Vergeblich. Es gibt keine Chance mehr, dass diese im amerikanischen Kongress noch zu Fall gebracht wird. Obama hat sich durchgesetzt und damit seinen größten außenpolitischen Erfolg erzielt.
Der Einsatz der Lobby war gewaltig: So soll Aipac sage und schreibe 30 Millionen Dollar – zehn mal so viel wie J Street – ausgegeben haben, um mit ganzseitigen Zeitungsinseraten, TV-Spots und massiven direkten Kontakten in Washington Abgeordnete davon zu überzeugen, dass das Atomabkommen des Teufels ist und abgelehnt gehört. Zwar stimmten die Republikaner im Kongress geschlossen gegen den Deal mit Teheran, unter den Demokraten gab es aber nur wenige „Dissidenten“. Auch eine große Mehrheit der jüdischen Abgeordneten mochte der Lobby nicht folgen.
Das ist ein absolutes Novum. Denn bisher galt: Gegen „Empfehlungen“ der Lobby zu stimmen, kann leicht das Ende einer politischen Karriere bedeuten. Und der Behauptung von Aipac, für die amerikanischen Juden insgesamt zu sprechen, wurde weitgehend geglaubt.
Die US-Juden unterstützen mehrheitlich die Politik Obamas gegenüber Teheran.
Aber dieser Vertretungsanspruch kann falscher nicht sein. Zunächst ist nur eine kleine Minderheit der US-Juden als solche überhaupt organisiert. Noch weniger, wenn man jene mitzählt, die nicht religiös sind. Die Juden sind nach den Schwarzen die amerikanische Volksgruppe, die seit Jahrzehnten am konsistentesten demokratisch wählt. Etwa 70 Prozent von ihnen wählten zwei Mal hintereinander Obama. Und hinter dem Abkommen mit dem Mullah-Regime steht eine Mehrheit der jüdischen US-Bürger. Diese unterstützen sogar in stärkerem Maße Obamas Iran-Politik als die Amerikaner insgesamt.
Natürlich hat J Street nur einen geringen Anteil an der Niederlage der Israel-Lobby. Die hat sie sich zum größten Teil selbst zuzuschreiben. Als einst überparteiliche Organisation, die nicht zuletzt auch Ausdruck der breiten und dauerhaften Sympathie der Amerikaner für den Judenstaat war, ist Aipac spätestens seit dem Einzug Obamas ins Weiße Haus zu einer faktischen Unterorganisation der Republikanischen Partei verkommen, deren Hauptziel ist und war, Obama zu schaden und dessen Politik zu Fall zu bringen.
Das ist Aipac nicht gut bekommen. Diese Organisation hat mit ihrem Debakel in der Iran-Frage vor allem ihren Nimbus der „Unbesiegbarkeit“ verloren. Die Vorstellung, dass die USA gegen Aipac keine Nahost-Politik betreiben können, hat sich als Mythos herausgestellt. Und die Tatsache, dass die Israel-Lobby mitnichten die politische Haltung der amerikanischen Juden widerspiegelt, diese also in keiner Weise vertritt, liegt heute offener zutage denn je.
Was bedeutet nun das für den Nahostkonflikt? Zunächst nicht viel. „In meinem langen Leben in Israel habe ich niemals etwas gesehen, das einer totalen Abwesenheit von Opposition so nahe ist, wie wir sie jetzt haben“, klagt der greise israelische Friedensaktivist Uri Avnery. Eine überwältigende Mehrheit der Israelis teilt die Ablehnung des Iran-Deals durch Netanjahu. Solange dieser so unbestritten wie jetzt regieren kann, wird sich wohl wenig ändern. Israelische Regierungen können sich freilich nicht mehr darauf verlassen, dass Washington wie bisher gegen jede UN-Verurteilung Israels – etwa wegen verstärktem Siedlungsbau oder brutaler Kriegshandlungen – ihr Veto einlegt.
Die Phase, in der die amerikanische Politik jeglichen noch so unmöglichen und völkerrechtswidrigen Schritt einer israelischen Regierung deckte, scheint nun wirklich ihrem Ende entgegenzugehen. Und das ist nur zu begrüßen.
Den Leuten von J Street ist jedenfalls zu ihrem Erfolg zu gratulieren.