Georg Hoffmann-Ostenhof Die falschen Freunde
Am 15. Februar 1945 kam es zu einem historischen Treffen. Im Suez-Kanal ankerte die USS Quincy. An Bord dieses Zerstörers unterzeichneten der saudische König Ibn Saud und der bereits todkranke amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt einen Freundschaftsvertrag. Seitdem besteht die strategische Partnerschaft zwischen der islamistischen Ölmonarchie und den Vereinigten Staaten. Jetzt dürfte sie zerbrechen.
Dabei zeigte sich die Allianz als überaus widerstandsfähig. Sie überdauerte: das US-israelische Bündnis; die von den Saudis ausgelöste Ölkrise 1972; den Export des Wahhabismus (eine besonders fundamentalistische Islam-Variante) und die Tatsache, dass elf der 19 Selbstmordattentäter des 11. September 2001 aus Saudi-Arabien stammten. All das konnte der saudi-amerikanischen Freundschaft nichts anhaben. Jetzt freilich, beinahe 70 Jahre nach der zukunftsträchtigen Begegnung auf dem amerikanischen Kriegsschiff, scheint sie doch zu Ende zu gehen.
Verständlicherweise konzentrierte sich die internationale Berichterstattung in den vergangenen Tagen auf die spektakulären Proteste der mutigen Saudi-Araberinnen gegen das verrückte Fahrverbot. Und zweifellos wird die anschwellende saudische Frauenbewegung wesentlich die Zukunft des Wüstenstaates beeinflussen. Die jüngsten Schritte der saudischen Diplomatie sind nicht minder bedeutsam. Sie könnten die politische Tektonik des gesamten Nahen Ostens grundlegend verschieben.
Was ist geschehen? Die Saudis hatten sich mit viel Engagement um einen (temporären) Sitz im UN-Sicherheitsrat bemüht. Als es dann so weit war, weigerten sie sich, diesen anzunehmen. Ähnliches hat es in der Geschichte der Vereinten Nationen noch nicht gegeben. Riad protestiere damit gegen die Doppelmoral des höchsten UN-Gremiums, hieß es. Von Anfang an war klar, dass man, wie sich der saudische Geheimdienstchef Bandar bin Sultan ausdrückte, eine Botschaft an die USA und nicht an die UN schicken wollte an die amerikanische Regierung, die gerade die angekündigte militärische Strafaktion gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad abgeblasen hatte und zunehmend die Bewaffnung von islamistischen Rebellen in Syrien ablehnt.
Die Empörung über die so feige Haltung der Amerikaner in der Syrien-Frage war nur der Auslöser. Die Entfremdung der Saudis von ihrem Bündnispartner jenseits des Atlantiks hat spätestens 2011 begonnen. Da ließ im sogenannten Arabischen Frühling Washington den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak fallen. Dann setzte Präsident Barack Obama auf die Muslimbrüder von Mohammed Mursi ein Affront für die Saudis, sind die Muslimbrüder doch ihre verhasste Fundi-Konkurrenz. Anschließend stellten sich die Amerikaner gegen die Putschgeneräle, die den gewählten Mursi gestürzt hatten. Am übelsten nahm man in Riad aber die beginnende Entspannung zwischen Washington und Teheran.
WikiLeaks veröffentlichte vor drei Jahren US-Diplomaten-Depeschen, in denen berichtet wird, wie der Saudi-König Abdullah die USA zu einem Militärschlag gegen den Iran drängt: Man möge doch den Kopf der Schlange abschneiden. Nun beginnen die Amerikaner, mit dem Iran über dessen Atomprogramm zu verhandeln, also quasi die von Riad so gefürchtete Natter am US-Busen zu nähren.
Der dem saudisch-amerikanischen Bündnis zugrunde liegende Deal war einfach: Die USA garantieren den Schutz Saudi-Arabiens vor regionalen Feinden, im Gegenzug liefert Riad den Lebenssaft für die Weltwirtschaft relativ billiges Öl und pumpt jedes Jahr Milliarden in die amerikanische Rüstungsindustrie.
Der Flirt der USA mit den Persern, den schiitischen Erzfeinden der Saudis, die neuerdings weiche Haltung Washingtons gegenüber Assad, der Marionette Teherans: Riad fühlt sich hintergangen. Amerika sei vertragsbrüchig geworden, meint man da.
Und es stimmt ja, auf die Interessen des reichen arabischen Wüstenstaates nimmt die Obama-Regierung in letzter Zeit immer weniger Rücksicht. Und das hat auch tiefere Gründe. In den USA spielt sich eine Energierevolution ab. Die sogenannte Fracking-Methode, mit der aus Schiefer Gas und Öl herausgepresst werden, macht plötzlich den Abbau neuer gewaltiger fossiler Rohstoffvorkommen möglich. So erlebt Amerika eine Renaissance als Energie-Supermacht, ja, die USA sind gerade dabei, Saudi-Arabien als größten Öl- und Gasproduzenten der Welt einzuholen. Sie sind immer weniger von den Lieferungen aus dem Nahen Osten abhängig.
Für die USA hat somit Saudi-Arabien an Bedeutung als Bündnispartner verloren. Nun wird das Zerwürfnis zwischen Riad und Washington vielfach als Schwächung Amerikas in der Region interpretiert. Immerhin ist Amerika gerade dabei, den treuesten Nahost-Freund zu verlieren, wird argumentiert. Man kann die neue Entwicklung aber auch anders interpretieren: Die Obama-Außenpolitik will sich nicht in den von den Saudis forcierten sunnitisch-schiitische Religionskrieg verstricken lassen und befreit sich aus der Partnerschaft mit einer der totalitärsten, bigottesten und intolerantesten Diktaturen der Welt aus einer Verbindung, die immer schon einen moralischen und politischen Skandal historischen Ausmaßes dargestellt hat.
Vielleicht eröffnet gerade der Bruch dieser unheiligen Allianz neue Perspektiven für den Nahen Osten, jener Region, deren vielfältige Konflikte bisher so unlösbar erschienen.
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