Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Die unbemerkte Revolution

Die unbemerkte Revolution

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Es sieht ganz so aus, als ob es schlecht um die globale Energiewende stünde. Vieles deutet darauf hin.
Seit der Wirtschaftskrise von 2007/08 ist die Angst vor den desaströsen Folgen des Klimawandels zwar nicht verschwunden, aber doch sehr in den Hintergrund getreten. Wenn man sich im Heute um seinen Arbeitsplatz sorgt oder ihn bereits verloren hat, wenn die unmittelbaren Existenzängste auch breite Mittelschichten der reichen Staaten erfasst haben, ist zwar die langfristige Perspektive notleidender Eisbären, sterbender Gletscher und versinkender Inseln in der Mitte oder am Ende des Jahrhunderts noch immer erschreckend, aber sie verliert ein wenig an Brisanz.
Und so bringen die internationalen Klimakonferenzen der vergangenen Jahre nur wenig weiter. Von Treibhausgas ausstoßender, fossiler auf grüne, erneuerbare Energie umzusteigen erscheint nicht mehr in dem Maße dringlich wie zuvor. Eine westliche Solarfirma nach der anderen geht pleite. Und die staatliche Subventionierung von Sonne und Wind als Energiequelle wurde in den vergangenen Jahren fast überall zurückgefahren.
Es hat ganz den Anschein, als ob die Welt bis auf Weiteres beim dümmlichen Verbrennen von Öl und Kohle oder dem gefährlichen Spalten von Atomen bliebe.

Der Anschein täuscht jedoch. Während also der Druck, den CO2-Ausstoß zu verringern und aus Öl und Kohle auszusteigen, in den vergangenen Jahren nachzulassen schien und die Politik immer unentschiedener auf die Herausforderung des Klimawandels antwortet, spielt sich in Forschung, Entwicklung und Realwirtschaft – von der Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen – Gewaltiges ab.

Die alternative Stromgewinnung steht unmittelbar vor dem Durchbruch. Das Wort „alternativ“ hätte in diesem Zusammenhang nichts mehr zu suchen, erneuerbare Energie werde zur Normalität, glaubt zumindest der „Economist“ in seiner Vorschau auf das Jahr 2013: Zwar tragen Solaranlagen nur zu einem Viertelprozent zur globalen Stromgewinnung bei, aber der Anteil des Sonnenlichts an der Elektrizitätserzeugung hat sich vergangenes Jahr um 86 Prozent erhöht. Und das britische Blatt, das nicht gerade für ökologische Schwärmerei bekannt ist, ist sich sicher: „Die Sonne hat das Potenzial, den Energiemarkt fundamental umzuwälzen.“
Dabei rekurriert das Magazin auf etwas, was es nach Richard Swanson, dem Gründer des bekannten Solarunternehmens SunPower, „Swanson’s Law“ nennt. Ähnlich wie das Moore’sche Gesetz, wonach sich die Schaltkreise auf einem Computerchip alle eineinhalb Jahre in ihrer Größe halbieren – und sich auch die Chip-Kosten entsprechend reduzieren –, wirke Swanson’s Law: Die Preise für Solarzellen sinken bei jeder Verdoppelung der globalen Produktionskapazitäten um 20 Prozent. Die Entwicklung der vergangenen Jahre gibt tatsächlich Herrn Swanson Recht.
Die Verbilligung von Photovoltaikzellen geht in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vor sich. Noch vor vier Jahren kosteten diese durchschnittlich je über vier Dollar. 2012 konnte man sie bereits um weniger als einen Dollar kaufen. In sonnenreichen Regionen wie Kalifornien dürfte die Solartechnologie gegenüber herkömmlichen Arten der Energiegewinnung – auch ohne Subventionen – schon konkurrenzfähig sein. Und es ist abzusehen, dass Sonnenenergie bei Fortsetzung des Preisverfalls in absehbarer Zeit auch in nördlicheren und wolkenreicheren Gebieten der Welt rentabel und sinnvoll genutzt werden kann.
Dazu kommt, dass wie in kaum einem anderen Forschungsgebiet in die Entwicklung und Verbesserung der für die Energiegewinnung aus Wind und Sonne so wichtigen Batterietechnologie investiert wird. Und Windräder schießen weiter wie die Pilze aus dem Boden. In einem Jahrzehnt werde global der Anteil von auf Windfarmen erzeugtem Strom größer sein als jener der in Atomkraftwerken produzierten Elektrizität, prognostiziert der „Economist“.

Auch erst seit Kurzem ist man auf den Schiefergas-Boom in den USA so richtig aufmerksam geworden. Die neuartige Technik, mittels so genannten Frackings Erdgas (und Öl) aus tiefen Gesteinsschichten herauszusprengen, wenden dort US-Unternehmen seit einem Jahrzehnt an. Amerika wird demnächst zum bedeutendsten Gasproduzenten der Welt. Der Weg hin zur Energieautarkie ist beschritten. Der Preis für Erdgas, das bei Verbrennung zwar CO2 freisetzt, aber um vieles weniger als Öl und Kohle, ist in den USA inzwischen nur mehr ein Drittel so hoch wie in Europa – wo man aus Umweltgründen noch zögert, in die zukunftsträchtige Technologie einzusteigen. 2013 wird Fracking in unseren Breiten sicher ein heiß diskutiertes Thema.

Schiefergas, der Boom von Alternativenergien und Swanson’s Law: Im Energiesektor wird in den kommenden Jahren kein Stein auf dem anderen bleiben. Vielleicht erleben wir den Beginn dessen, was ein viel beachteter deutscher Dokumentarstreifen aus dem Jahr 2010 meinte: Nach der Agrarrevolution, der industriellen Revolution und der digitalen Revolution folgt nun die Energiewende – die 4. Revolution. So lautet auch der Filmtitel.

Der Blick in die Geschichte lässt jedenfalls Hoffnung aufkeimen: Jede große Innovation, jede technologische Umwälzung schuf bisher noch die Grundlage für eine neue Wachstumsphase.

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