Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Die Stunde der Professoren

Die Stunde der Professoren

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In seinem großen Roman „Der Weg ins Freie“ lässt Arthur Schnitzler einen Abgeordneten namens Jelaudek sagen: „Wissenschaft ist das, was ein Jud’ vom andern abschreibt.“ Der Ausspruch war ein historischer. Tatsächlich stammt dieses böse Bonmot, das Schnitzler in sein Œuvre einbaute, von Hermann Bielohlawek, einem christlich-sozialen österreichischen Parlamentarier. Im Wien des Bürgermeisters Karl Lueger standen zwar Kultur und Wissenschaft in voller Blüte, aber gleichermaßen Judenfeindschaft, Irrationalität und antiintellektuelles Ressentiment. Die damals grassierende Geringschätzung der Wissenschaft hatte immer auch anti­semitische Untertöne.

Hundert Jahre später in Deutschland ist Derartiges nicht zu vernehmen. Es ist ja auch ein Aristo (kein Jude), der da kopiert hat, dass die Schwarten nur so krachten. Aber so wenig die aktuelle deutsche Stimmungslage jener in Österreich zur Zeit Schnitzlers ähneln mag. So unterschiedlich weht der Geist heute wiederum auch nicht. Warum musste Karl-Theodor von und zu Guttenberg trotz erdrückender Beweise von zumindest grob unehrenhaftem Verhalten nicht sofort als Verteidigungsminister den Hut nehmen? Warum gab es so lange Mehrheiten im Lande, die dem betrügerischen Baron die Stange hielten? Und warum glaubten diese, der dreiste Diebstahl von geistigem Eigentum sei eine lässliche Sünde?

Offenbar hat auch die deutsche Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts keine allzu hohe Meinung von Wissenschaft und Forschung. Unzählig sind die von den Medien Befragten, die meinen, es sei ohnehin üblich, dass an den Unis unredlich gearbeitet werde – nach dem Motto: Es machen eh alle, und wir in der Schule haben ja auch geschummelt. Die Sehnsucht nach einem charismatischen Politiker, als der sich Guttenberg erfolgreich gerierte, war offenbar zu stark. Die Tatsache, dass er durch Täuschen und Tricksen seinen Doktortitel erschlichen hatte, verblasste zu einem verzeihlichen Fehler. Bestärkt wurde diese Einstellung der Bevölkerung nicht nur von der „Bild“-Zeitung, jenem Boulevardblatt, das Karl-Theodor bis zuletzt zu einem Helden stilisierte, sondern auch von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nassforsch verkündete: „Ich habe ihn ja nicht als wissenschaftlichen Assistenten berufen, sondern als Politiker.“

Die regierenden Unionsparteien wollten sich ihr Zugpferd aus adligem Stall partout nicht ausspannen lassen. Guttenbergs Popularitätswerte sanken zwar leicht, blieben aber erstaunlich hoch. Und die Rücktrittsforderungen der Opposition verhallten ebenso, wie die kritischen Artikel in der (liberalen, aber auch konservativen) Qualitätspresse wirkungslos zu bleiben schienen. Es sah ganz so aus, als ob Guttenberg den Sturm um seine Mogel-Diss überstehen würde.

Dann aber meldete sich ein neuer Akteur auf der politischen Bühne, und der brachte den freiherrlichen Plagiator schließlich zu Fall: die Wissenschaft. Zuerst rotteten sich die Doktoranden im Internet zusammen und empörten sich in einem offenen Brief an die Kanzlerin: Die allgemeine Verharmlosung der Guttenberg’schen Verfehlungen, vor allem aber Merkels Äußerungen seien eine „Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen“. Binnen weniger Tage hatte der Brief Zehntausende Unterschriften.

Da wollten die deutschen Professoren nicht abseitsstehen. Mehrere tausend von ihnen unterzeichneten eine Erklärung, in der sie ihr „Befremden darüber zum Ausdruck bringen“, dass Merkel und andere Politiker „Wissenschaft und wissenschaftlicher Redlichkeit insgesamt den Stellenwert von Nebensächlichkeit geben“. Wie könne man eine Persönlichkeit in einen wissenschaftlich irrelevanten und einen relevanten politischen Teil aufspalten, fragen die Hochschullehrer. Das sei „würdelos und gefährlich“, gerade auch in „einer modernen Gesellschaft, deren materieller wie kultureller Reichtum in hohem Maß auf Wissenschaft beruht“.

Der Aufstand der Gelehrten war letztlich für Guttenbergs Rücktritt entscheidend. Die massenhafte Mobilisierung der angehenden Akademiker und etablierten Uniprofessoren rettete aber auch die Ehre Deutschlands – denn verwundert hatte man sich gefragt, was mit den in den vergangenen Jahrzehnten politisch so zivilisierten Deutschen passiert sei. Dank der Wissenschafter dauerte die moralische Verwirrung nur kurz. Deutschland hat gezeigt: Die Kraft der Selbstreinigung ist intakt. Und so fand die Guttenberg-­Story doch noch ein Happy End.

Wie aber hätte Österreich in einer vergleichbaren Situation reagiert? Wir wissen es bereits. Als der vormalige Wissenschaftsminister Gio Hahn mit ähnlichen Plagiatsvorwürfen konfrontiert wurde, gab es nicht einmal ein universitäres Prüfungsverfahren seiner Dissertation, eine Abdankung wurde nicht einmal erwogen, schließlich belohnte man ihn mit einem Kommissarposten in Brüssel. Rücktritt ist bei uns ein Fremdwort.

Vermeintlichen Charismatikern der österreichischen Politik – die sich regelmäßig als „falsche Fuffziger“ herausstellen – lässt man, solange sie im Amt sind, Dinge durchgehen, die in anderen Ländern langjährige Haft bedeuteten. Ignoranz und Wissenschaftsfeindlichkeit im Land sind seit 100 Jahren offenbar unverändert: Gentechnologische Forschung ist Teufelszeug. Intellektuelle gelten generell als suspekt oder spinnert. Kaltblütig kürzt die Regierung die Forschungsgelder, ohne dass sich ernsthafter Widerstand regte. Und wenn Österreichs akademische Community so wie jene in unserem nördlichen Nachbarland aufstünde: Die mediale Öffentlichkeit würde sie wahrscheinlich im Regen stehen lassen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof