Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Ein bisschen viel Backlash

Ein bisschen viel Backlash

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Die vergangene Woche hatte es in sich: Gleich von drei Brennpunkten des Weltgeschehens wurde überaus Grausliches und Bedrohliches berichtet. Russische Soldaten werden an der Westgrenze zur Ukraine massiert. Zunächst 10.000 Mann, vergangenen Freitag waren es bereits 30.000. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob Wladimir Putin in der ehemaligen Sowjetrepublik intervenieren wird, sondern bloß wie. Will er in der Ostukraine ähnlich vorgehen wie auf der Krim, oder „nur“ die ohnehin überaus instabile Ukraine durch Druck, Drohung und gezielte Subversion (seit jeher ein Lieblingswort und eine Lieblingsbeschäftigung russischer Geheimdienste) destabilisieren, um das Land wieder aus den Klauen des „westlichen Imperialismus“ zu befreien und der Kontrolle Moskaus zu unterwerfen.

In der Türkei wütet der Kampf zwischen Premierminister Recep Erdogan und seiner regierenden AK-Partei auf der einen Seite und der mächtigen islamischen Sekte des Guru Fethullah Gülen auf der anderen – wichtigste Gegenkraft gegen die Herrschaft des immer autokratischer werdenden Regierungschefs. Opfer dieses Streits: die türkische Zivilgesellschaft und die demokratischen Freiheiten. Anfang vergangener Woche sperrte Erdogan Twitter, am Donnerstag dann YouTube.

Montag vergangener Woche machte ein Kairoer Gericht kurzen Prozess und verurteilte pauschal 529 Muslimbrüder zum Tod. Diese sollen an gewalttätigen Demonstrationen nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi beteiligt gewesen sein. Der mächtige Militärchef
Abdel Fattah al-Sisi gab dann am Mittwoch das Erwartete bekannt. Er kandidiert bei den kommenden Präsidentenwahlen. Und es ist bereits jetzt sicher, dass er gewinnt: Die Muslim-Bruderschaft wird von den Putschisten an der Macht als Terroristen verfolgt. Deren politischer Arm, die größte Partei des Landes, kann bei den Wahlen nicht kandidieren. Andere Sisi-Gegner boykottieren den Urnengang.

Das sind furchtbare Meldungen. Sie wirken noch um einiges deprimierender, wenn man sie auf dem Hintergrund jener gewaltigen Hoffnungen sieht, die man einst mit der Entwicklung dieser drei Länder verbunden hat.

Ans „Ende der Geschichte“ – ein Titel eines damaligen Bestsellers – sei die Welt gekommen, wähnte so mancher Optimist, als Anfang der 1990er-Jahre die Sowjetunion und der russische Kommunismus zusammenbrachen. Der Kampf der Systeme sei zu Ende. Jetzt gebe es nur mehr soziale Marktwirtschaft und liberale Demokratie – als letztes Stadium der Historie.

Zwar war unter dem Trunkenbold Boris Jelzin alles sehr chaotisch und der Wirtschaftsliberalismus von der besonders räuberischen Art, aber noch nie hatten Russen ein solches Maß an Freiheit erlebt wie damals. Als dann Putin Anfang dieses Jahrhunderts in den Kreml einzog, hoffte man noch, dass er nun Russland geordnet und mit ruhiger Hand in die demokratische Zukunft führen würde. Es sollte sich bald herausstellen, dass der ehemalige KGB-Offizier nicht nach vorne blickte, sondern zurück, in eine despotische Vergangenheit, als Russland noch stark und gefürchtet war. Er erstickte mit harter Hand die zarten Triebe russischer Freiheit und trachtet mit dem Segen der orthodoxen Kirche die verlorene Größe des Russischen Reiches wiederherzustellen.

Die Hoffnung auf das Geschichts-Happyend wurde nicht erst durch Putins polit-historische Regression zunichte gemacht. Das Auftauchen des terroristischen Islamismus zeigte nur allzu deutlich dass die westliche Moderne keineswegs alternativlos triumphiert.

Wie zum Trost tauchte in der Türkei ein muslimischer Politiker auf, der versprach, der Welt zu zeigen, wie Islam und Demokratie zu vereinen seien. Rezep Erdogans Aufstieg stimmte zuversichtlich: Im Eilzugtempo modernisierte er sein Land, ließ dieses wirtschaftlich aufblühen und drängte das allzu mächtige Militär zurück. Er ging daran, das Kurdenproblem zu lösen und führte die Türkei an die Pforten der EU. Drei Mal mit großen Mehrheiten gewählt, verkam aber auch er in den letzten Jahren zu einem brutalen Autokraten, der nicht verstehen wollte, dass politische Macht im 21. Jahrhundert, um erfolgreich zu sein, einer offenen Gesellschaft bedarf. Wie begeistert waren wir dann, als vor drei Jahren die arabische Welt erwachte. Tyrannen wurden hinweggefegt und eine ganze Region schickte sich an, sich aus ökonomischer, politischer und sozialer Stagnation zu befreien. Wenig ist vom damaligen Revolutionsenthusiasmus übrig geblieben.

Von der syrischen Katastrophe soll hier gar nicht gesprochen werden. Nur paradigmatisch von Ägypten: Der gewählte Präsident, der Muslimbruder Mursi, brauchte kein Jahr, um sich als plumper und bigotter Diktator zu entpuppen. Auf einer Welle des Protests gegen ihn und seine Herrschaft wurde dann das Militär wieder an die Macht gespült. Das Ancien Regime ist am Ruder und unterdrückt unter Sisi die Leute nicht anders, wenn nicht sogar stärker als unter dem 2011 gestürzten Hosni Mubarak.

Es ist bitter. Was sich in Russland in den 1990er-Jahren, in der Türkei in den 2000er-Jahren und in arabischen Landen in den 2010er-Jahren so vielversprechend ankündigte, ist alles mehr oder minder gescheitert. Vorläufig zumindest. Große Enttäuschung greift Platz.

Freunde des Fortschritts und Geschichtsoptimisten haben es schwer in diesen Tagen: ein bisschen viel Backlash auf einmal.

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