Georg Hoffmann-Ostenhof Ein Bombenvertrag
Es gibt eine alte journalistische Regel: Sag nie von den Ereignissen, über die du gerade schreibst, dass sie langweilig seien. Denn warum sollte dann dein Artikel gelesen werden? Trotzdem sei hier festgestellt: Nichts fesselt weniger als Abrüstungsverträge. Ein solcher wurde Donnerstag vergangener Woche feierlich von Barack Obama und Dmitri Medwedew auf der Prager Burg unterzeichnet. An Pathos fehlte es dabei nicht: Von einem Meilenstein wurde geschwärmt, von einem historischen Ereignis und einem neuen Kapitel der Geschichte, das nun aufgeschlagen werde. Doch irgendwie kommt die Botschaft nicht an. Das mag ja alles stimmen ein wenig hohl klingen diese Superlative dennoch.
Beide großen Nuklearmächte, Russland und die USA, sollen, so sieht es das Abkommen vor, in den kommenden sieben Jahren die Zahl ihrer Atomsprengköpfe von derzeit 2200 auf mindestens 1550 senken. Die Trägersysteme, also land- und seegestützte Raketen sowie schwere Bomber, sollen von derzeit 1600 auf 800 verringert werden. Das klänge beeindruckend, wüsste man nicht, dass mit dem dann übrig gebliebenen Waffenarsenal die beiden Länder einander noch immer mehrfach vernichten könnten. Also wo ist der große Fortschritt?, könnte man naiv fragen.
So war es auch im Kalten Krieg, als sich Ost und West waffenstarrend gegenüberstanden und Rüstung Thema Nummer eins der internationalen Berichterstattung war. Wie quälend war doch damals in den siebziger und achtziger Jahren das permanente Waffenzählen, das noch dadurch erschwert wurde, dass beide Parteien logen, was das Zeug hielt. Ebenso unerquicklich das dauernde Zeichnen der hypothetischen Ernstfälle, bei denen mit Millionen Toten und der Zerstörung von Städten und ganzen Ländern gerechnet wurde Horrorszenarien, die gleichzeitig durch atomare Abschreckung und atomare Abrüstung verhindert werden sollten. Instinktiv spürte das Publikum jedoch, dass die Drohung mit dem Dritten Weltkrieg und dem Weltuntergang wenig mit der Realität und viel mit Ideologie zu tun hatte.
Heute geht es nicht mehr um eine große Ost-West-Konfrontation, vor der man Angst haben muss. Inzwischen dient die Abrüstung der Nuklearmächte vor allem dazu, das Regime der Nonproliferation zu stärken, also zu verhindern, dass immer mehr Staaten über Atomwaffen verfügen. Das ist sicherlich sinnvoll. Doch auch da erscheint die offizielle Aufregung überzogen.
Nehmen wir den Fall Iran. Alle sind sich einig: Die Mullahs von Teheran sollen die Bombe nicht in die Hand bekommen. Gesichert ist es nicht, aber man nimmt an, dass der Iran sich atomar bewaffnen will. Wenn dem so ist, dauert es jedenfalls noch Jahre, bis die Iraner so weit sind. Und dann stellt sich die Frage: Was wäre wirklich so ungemein gefährlich an einem Iran, der so wie der Nachbar Pakistan, so wie Indien und Israel dem Club der Atomstaaten angehörte? Gewiss, das von Präsident Mahmoud Ahmadinejad geführte Regime ist furchtbar. Und ein regionaler Machtgewinn des Iran böte Anlass genug, beunruhigt zu sein. Aber muss man ernsthaft Angst haben, dass die Herrschaften in Teheran nuklear zuschlagen, wo sie doch genau wissen, dass solch ein aggressiver Akt einer Selbstvernichtung ihres Landes gleichkäme? Glaubt man wirklich, dass der Iran so selbstmörderisch ist? Es ist nicht einzusehen, dass diese mittelgroße Regionalmacht, so unangenehm und großsprecherisch sie sich auch präsentiert, heute dermaßen im Zentrum der Weltpolitik steht. Wäre da nicht mehr Gelassenheit der internationalen Gemeinschaft angebracht?
Die zweite große Gefahr, die jetzt allerorten an die Wand gemalt wird, nämlich dass Terrorgruppen an Nuklearwaffen herankommen könnten, ist zweifellos gegeben. Aber auch hier sei vor Hysterie gewarnt. Bekanntlich liegt die Stärke von gewaltbereiten Extremisten gerade nicht in ausgeklügelten und komplizierten Waffentechnologien. Ganz im Gegenteil. Womit hat die Al Kaida die Welt in Angst und Schrecken versetzt? Die Selbstmordattentäter des 11. September hatten keine Massenvernichtungswaffen, sondern bloß Tapeziermesser an Bord.
Selbst wenn wir also den in Prag unterzeichneten Vertrag zwischen Moskau und Washington des ihn begleitenden Pathos entkleiden und seine Brisanz ein wenig relativieren: Begrüßenswert ist er noch allemal.
Zunächst hat Barack Obama damit die Beziehung zu Moskau normalisiert. So ist die in der Ära des George W. Bush ausgebrochene russisch-amerikanische Eiszeit zu Ende, was sich weltpolitisch nur positiv auswirken kann.
Im Nichtverbreitungsvertrag wird festgelegt: Die Staaten, die keine Kernwaffen besitzen, verzichten auf nukleare Rüstung. Im Gegenzug verpflichten sich die Atommächte, ihre Arsenale abzubauen. Das haben sie bis heute nicht eingehalten; es wurde weiter munter aufgerüstet, was dem Vertrag seine auch moralische Kraft nahm. Seit Prag kann man nun mit besserem Gewissen und stichhaltigeren Argumenten die Staaten der Welt dazu drängen, nicht den Besitz der Bombe anzustreben.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie erlebt, nicht zuletzt wegen der Klimaerwärmung, eine Renaissance. Unter diesen Bedingungen wird die Versuchung, die Technologie auch für das Militär zu verwenden, wachsen. Da ginge es dann nicht darum, dass dieser oder jener Staat zum Atomclub stößt. Es könnte ein multipolares unkontrolliertes Wettrüsten drohen mit unabsehbaren Konsequenzen.
Schließlich signalisiert der Abrüstungsvertrag, dass es Obama wirklich ernst ist mit seiner Abwendung von der militaristischen Logik, die der Weltpolitik von Bush zugrunde lag. So gesehen, erscheinen die Berichte über das Prager Abkommen dann doch nicht ganz so langweilig.