Georg Hoffmann-Ostenhof: Einbinden statt eindämmen

Über die nahöstlichen Verstrickungen der USA, die Neue Seidenstraße und Obamas verfehlte China-Politik.

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Eigentlich wollte Präsident Barack Obama, dass sich die USA zunehmend aus dem Mittleren Osten zurückziehen. „Pivot“ – zu Deutsch: Dreh und Angelpunkt – für die amerikanische Außenpolitik sollte Asien werden. Dieser vor Langem geplante Schwenk will aber nicht und nicht gelingen.

Die Begründung für diesen ist einleuchtend: Das ölreiche Morgenland verliert für die Vereinigten Staaten an Bedeutung. Zudem haben die Amerikaner in dieser Großregion gleich in zwei Kriegen – in Afghanistan und Irak – ein Fiasko erlebt. Im Gegensatz zum Nahen Osten, der im blutigen Chaos versinkt, wird im Fernen Osten aber die Zukunft geschrieben: Ein ganzer Kontinent befindet sich im Aufschwung, und mit China ist eine wirtschaftliche Supermacht herangewachsen, gegenüber der es gilt, eine klare Politik zu entwickeln. So überlegte man in Washington.

Tatsächlich hat Obama den Rückzug aus Nahost eingeleitet. Vom Hindukusch und von den Ufern des Euphrat und Tigris brachte er den größten Teil der US-Soldaten heim. Und der jahrzehntelange Konflikt mit Teheran dürfte demnächst entschärft sein. Dennoch stecken die Amerikaner immer noch, und schon wieder, tief im morgenländischen Sumpf fest. Gegen den IS fliegen im Irak und in Syrien US-Bombengeschwader. Den Saudis helfen sie, im Jemen die Huthi-Rebellen niederzumachen. Das amerikanische Nahost-Degagement ist erneut verschoben.

Obama und sein Außenminister John Kerry verbringen nur wenig Zeit im Fernen Osten. Und das stößt auf immer stärkere Kritik: „Lasst die Irakis und die Saudis streiten, lasst den Jemen seinen schon fünf Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg auskämpfen und den Iran seine Ressourcen in Syrien verschwenden“, schreibt etwa der renommierte amerikanische Publizist Fareed Zakaria: Washington möge alle seine weltpolitische Energie auf Asien lenken.

Nun verkündete Peking kürzlich sein Projekt der „Neuen Seidenstraße“. Die alte Seidenstraße, ein Netz von Wegen, auf dem China jahrtausendelang Handel mit dem Westen und Europa betrieb, soll wiederbelebt werden. Dass dies keineswegs bloß eine luftige Vision der chinesischen Führung, sondern ein gigantisches Investitionsvorhaben ist, zeigt nicht zuletzt der vorwöchige Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Islamabad. Da wurde ein Infrastruktur-Paket geschnürt: Mit einem 3000 Kilometer langen Superhighway, bestehend aus Autobahnen, Zugverbindungen, Ölleitungen und Gaspipelines soll der Westen Chinas mit Pakistan verbunden werden. Peking will dafür 43 Milliarden Dollar in die Hand nehmen – ein Vielfaches dessen, was die USA bisher Pakistan, ihren traditionellen Verbündeten, zukommen haben lassen.

Die Zeit der weltpolitischen Zurückhaltung Pekings, die seinerzeit von Deng Xiaoping propagiert wurde, ist unter Xi jedenfalls vorbei. Jetzt wollen die Chinesen nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch als Global Player mitspielen. Wie reagiert nun Washington auf diese neue Situation? Zu schwach, sagen die Kritiker. Und zu ängstlich, abwehrend und feindselig.

Die Sicherheitskooperationen und die militärische Präsenz der USA im pazifischen Raum wurden verstärkt. Nach wie vor hat China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, im Internationalen Währungsfonds IWF ein Stimmgewicht, das nicht größer ist als das der Benelux-Staaten: Washington hat eine Veränderung der Kräfteverhältnisse im IWF verhindert. Und als kürzlich Peking die Asian Infrastructure Investment Bank ins Leben rief, versuchte Amerika diese zu boykottieren – ein Flop: die europäischen US-Alliierten beteiligen sich an diesem Finanzinstitut.

Früher oder später wird sich Washington aus seinen nahöstlichen Verstrickungen lösen können. Dann aber ist Europa wirklich gefordert.

Offenbar hat der so stark mit Nahost beschäftigte Obama Asien zunehmend dem Pentagon und seinen Generälen überlassen. Und deren Strategie heißt Containment. Aber ist Eindämmung wirklich die adäquate Methode, um den neuen Ambitionen des Reichs der Mitte zu begegnen? Sollte Amerika – das militärisch ohnehin in einer eigenen Liga spielt – nicht eher daran arbeiten, China mitsamt seinen gewaltigen geopolitisch-wirtschaftlichen Entwicklungsprojekten in das globale System zu integrieren – also weniger einzudämmen und mehr einzubinden?

Wie immer diese Frage beantwortet wird – anzunehmen ist, dass mittelfristig Asien, wie vorgehabt, doch noch zum „Pivot“ der amerikanischen Außenpolitik wird. Das liegt im nationalen Interesse der USA. Früher oder später wird sich Washington aus seinen nahöstlichen Verstrickungen lösen können. Dann aber ist Europa wirklich gefordert.

Denn wer kann, wenn die USA weitgehend ihr Engagement in der Region zurückfahren, in das so entstehende Vakuum vorstoßen? Doch nur Europa. Und wie wichtig bereits heute eine gemeinsame Nahostpolitik für die EU wäre, zeigt gerade in diesen Tagen die mediterrane Flüchtlingskatastrophe – ein Akt in einem Drama, das schier unlösbar erscheint.

Europa wird nun versuchen, mit den verschiedensten Maßnahmen die Völkerwanderung aus dem Süden in den Norden zu verlangsamen, einzudämmen und in zivilisatorisch annehmbare Bahnen zu lenken. Wirklich und dauerhaft in den Griff bekommen kann Europa diese bedrohliche Entwicklung aber nur durch eine kräftige und eigenständige Politik im Nahen Osten und darüber hinaus in Afrika – und zwar auf allen Ebenen: auf der wirtschaftlichen, diplomatischen, humanitären und militärischen.

Eine gewaltige Herausforderung, für welche die EU nicht im Geringsten gerüstet ist. Bisher jedenfalls.

Georg Hoffmann-Ostenhof