Georg Hoffmann-Ostenhof: Einsame Masse
Darüber, dass Donald Trump narzisstisch gestört ist, besteht unter den Psychologen und Psychiatern, die eine Ferndiagnose wagen, Einigkeit. Die megalomanische Insistenz des Obama-Nachfolgers, in allem der Beste, Klügste und Effektivste zu sein, seine nachgerade obsessive Leugnung offen daliegender Fakten und das Denunzieren jeglicher Kritik an ihm als Fake News sind eindeutige Symptome, die auch ein Laie deuten kann.
Bloß bringt der Befund, dass Trump, um es locker zu sagen, nicht alle Tassen im Schrank hat, nicht allzu viel. Unbeantwortet bleibt die alles entscheidende Frage, welche Psychodynamik einen Teil der amerikanischen Bevölkerung – den eher unterprivilegierten – zu ihm treibt, wieso so viele bereit sind, in Trumps verrückte Welt der „alternativen Fakten“ einzutauchen und in ihm, dem vulgären Milliardär, einen Heilsbringer zu sehen.
Der Wiener Psychoanalytiker August Ruhs hat mich auf einen Klassiker der amerikanischen Soziologie verwiesen: David Riesmans „Die einsame Masse“ könnte ein Ansatz zum Verständnis des „Trumpismus“ sein.
In seiner 1954 erschienenen Arbeit unterscheidet Riesman drei soziale Idealtypen, die zwar in allen Zeiten vorkommen, aber in jeweils bestimmten Gesellschaftsformationen dominant sind:
Der traditionsgeleitete Mensch tut einfach das, was man tut. Die Gebote und Verbote werden nicht hinterfragt. Für autonomes Handeln ist kein Platz. Dieser Typus entspricht agrarischen und ständischen Gesellschaften.
Ihm folgt im Laufe der Industrialisierung der innengeleitete Charakter, der die Normen der Eltern (und der Schule) verinnerlicht hat. Er hat einen inneren Kompass, der ihn leitet.
Im Übergang von der Gesellschaft, in der die Produktion im Zentrum steht, zur Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft entdeckt Riesman nun die „außengeleitete Persönlichkeit“, die weniger an von den Altvorderen übernommenen Werten und Normen als vielmehr an den Zeitgenossen und ihren medialen Hervorbringungen Maß nimmt. Der Außengeleitete orientiert sich nicht so sehr am inneren Kompass, sondern eher am „Radar“, wie Riesman schreibt: „Er will eher geliebt als geschätzt werden. Aber wenn alle Menschen von einigen Leuten für einige Zeit gemocht werden wollen, macht der moderne, außengeleitete Typus diesen Wunsch zum Zentrum all seines Strebens.“ So gesehen hat Trump diesen Typus radikalisiert. Wenige Konstanten seiner Persönlichkeit werden sichtbar. Eines aber will er immer, überall und mit allen Mitteln: geliebt werden. Er will gewinnen. Und dabei sind Inhalte, Werte, Ideologie unwichtig.
Die Hälfte der Amerikaner hat sich in die narzisstische Psyche Trumps eingeklinkt.
Es geht ihm um Celebrity. Während autoritären Staatsmännern von Caesar bis Putin die Bewunderung und Devotion des Volkes als Mittel zur Macht dient, ist das bei Trump umgekehrt. Ihn treibt nicht der Wille zur Macht. Er hat den Willen zum Ruhm.
Seit Riesman hat sich die amerikanische Gesellschaft rasant entwickelt. Die Globalisierung und vor allem auch die Digitalisierung hat all das in ungeahnter Weise beschleunigt, was er vor sechs Jahrzehnten beschrieb. Die Welt ist unübersichtlich, unverbindlich und unberechenbar geworden. Alte Autoritäten sind gefallen, das Patriarchat befindet sich im akuten Niedergang.
Nun sind es gerade Trumps Anhänger, die den Übergang von der Industriegesellschaft in eine informationsgetriebene und weltweit vernetzte Ökonomie verpasst haben. Sie – die eher alten, ländlichen und nicht so gut ausgebildeten Wähler – sind nicht nur vielfach real von der Entwicklung abgehängt. Sie fühlen sich auch von der sich immer schneller verändernden Wirklichkeit, von der so komplexen und unkalkulierbaren, aber auch offen und liberal gewordenen Welt überfordert.
Da taucht Trump auf, der nicht nur jene benennt, welche angeblich die Misere der „deplorables“ verursacht haben. Er lädt auch in seine total illusorische Wunderwelt ein, in der er die Feinde allesamt besiegt und das vermeintlich gute alte Amerika wieder herstellt und damit „great again“ macht. Der Einladung wird massenhaft Folge geleistet.
Nach Riesman sind die traditionellen Gesellschaften Schamkulturen. Die Industriegesellschaften werden über Schuld zusammengehalten. In der heutigen Konsum- und Informationsgesellschaft ist aber diffuse Angst das herrschende Gefühl. Wir leben in einer Angstkultur.
Trump gibt sich schamlos. Von Schuldgefühlen scheint er frei zu sein – Political Correctness, sprich Moral, attackiert er frontal, was für seine Wähler befreiend und enthemmend wirkt. Deren tiefen Ängsten begegnet er aber mit seiner Retro-Utopie, die geglaubt wird, weil offenbar der Wunsch nach Erlösung gewaltig ist. Und so hat sich nahezu die Hälfte der Amerikaner in die narzisstische Psyche des Lügenbarons eingeklinkt.
Es sieht ganz so aus, als ob Trump nicht nur ein bloßer historischer Ausrutscher wäre, sondern ein Ergebnis von starken Tiefenströmungen in der US-Gesellschaft. Muss sich Amerika also auf den Trumpismus als Dauerphänomen einstellen?
Ein wenig Hoffnung geben gleich mehrere (jüngst in „Psychology Today“ publizierte) Studien: Übereinstimmend zeigen diese, dass Narzissten zu Anfang einen besseren Eindruck machen als weniger egozentrierte Personen. Mit der Zeit aber nervt ihre Arroganz. Fast unausweichlich werden Narzissten weniger unterhaltend gefunden, je länger und besser man sie kennt. Besonders abstoßend erweist sich schließlich ihre Tendenz zum Angeben und der Überschätzung der eigenen Talente.
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.