Georg Hoffmann-Ostenhof Entspannen in Nahost
Der Nahe Osten hat die Eigenschaft, Optimisten immer wieder zu blamieren. Die jüngsten Entwicklungen in der Region sind aber angetan, vorsichtige Zuversicht aufkommen zu lassen. Die Gleichzeitigkeit, mit der sich bislang unversöhnlich gegenüberstehende Akteure jäh an Verhandlungstischen wiederfinden, erscheint doch zu frappant.
Da kündigt sich nach Jahrzehnten der Eiszeit zwischen Washington und Teheran ein veritables Tauwetter an. Im jüngsten historischen Telefonat des neuen iranischen Präsidenten Hassan Rohani mit Barack Obama waren sich beide einig, dass der Konflikt um die iranischen Nuklearambitionen in Gesprächen gelöst werden kann. Die Russen, seit Langem die Protektoren des Damaszener Regimes von Baschar al-Assad, waren plötzlich bereit, ihre Blockade im UN-Sicherheitsrat aufzugeben und stimmten einer Resolution zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu. Und nach langer Zeit reden wieder Palästinenser und Israelis miteinander.
Es bedarf nur wenig Fantasie und bloß rudimentärer Kenntnisse der jüngeren Vergangenheit, um sich auszumalen, wie diese Versuchsballons der Entspannung platzen können, wie alles noch schiefgehen kann. Aber vielleicht machen sich die Nahost-Optimisten diesmal doch nicht zum Narren. Es spricht einiges dafür. Nicht zuletzt ganz reale Interessen der involvierten Player weisen in eine positive Richtung.
Iran: Vieles deutet darauf hin, dass Rohanis Charme-Offensive das Backing des obersten geistlichen Führers Al Khamenei hat und nicht bloß ein vordergründiges Manöver ist. Die wirtschaftliche Situation im Iran könnte desaströser nicht sein, die Beendigung der Isolierung des Landes und die Lockerung der internationalen Sanktionen erscheinen immer mehr als Existenzfrage.
Die Bedeutung der militärischen Rüstung ist für Teheran im vergangenen Jahrzehnt geringer geworden. Den Erzfeind, den sunnitisch-säkularen Diktator Saddam Hussein, der den Iran im Krieg der 1980er-Jahre besiegt hatte, gibt es nicht mehr. In Bagdad befinden sich seit der amerikanischen Intervention 2003 Schiiten an der Macht, die Teheran verbunden sind. Die Allianz mit Syrien ist somit für den Iran geopolitisch nicht mehr so wichtig. Die Unterstützung des Schlächters von Damaskus erweist sich darüber hinaus zunehmend als schwere finanzielle sowie politisch-moralische Bürde.
Russland: Solange es aussah, als ob Assad im Krieg gegen die Rebellen den Sieg davontragen könnte, blieb Syrien für Moskau von zentraler Bedeutung. In Damaskus hatten die Russen den letzten Bündnispartner in der Region. Nun wird klar: In Syrien kann keine Seite gewinnen. Und so erkaltet zusehends die Liebe der Russen zu Assad.
Die Fortsetzung des Bürgerkriegs lässt zudem die terroristischen Islamisten allen voran die Al Kaida immer stärker werden, was die Russen als bedrohlich empfinden müssen, sind sie doch an der Südflanke ihres Reiches mit muslimischen Aufständen konfrontiert. Moskau muss also alles Interesse an einer Stabilisierung Syriens haben. Die Chancen, tatsächlich eine internationale Syrien-Friedenskonferenz zustande zu bringen, sind jedenfalls gewachsen.
Palästina: Die wirklichen Verlierer der jüngsten Entwicklungen in der Region sind die Radikal-Islamisten der Palästinenserorganisation Hamas. Mit dem Sturz der Muslimbrüder-Regierung in Ägypten hat diese den wichtigsten Protektor verloren. Assad hatte Hamas lange Zeit unterstützt. Als aber die Rebellion gegen ihn ausbrach, stellten sich die palästinensischen Radikalen auf die Seite der Anti-Assad-Front. Somit fällt auch die syrische Hilfe für Hamas. Deren Schwächung gibt nun den moderaten Palästinensern, den Fatah-Leuten um den Präsidenten Mahmoud Abbas, einen größeren Verhandlungsspielraum.
Israel: Jerusalem hat sich durch seine jahrelange Weigerung, mit den Palästinensern über eine friedliche Konfliktlösung zu sprechen, zunehmend isoliert. Der internationale Druck auf die Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu, wieder zum Verhandlungstisch zurückzukehren, hat sich in den vergangenen Monaten zusehends verstärkt.
Die Haltung der jüdischen Diaspora ist zudem im Wandel begriffen. Neben rechtsgerichteten amerikanischen Pro-Israel-Organisationen wie Aipac, die kraftvoll den intransigenten Kurs Netanjahus vertreten, hat sich inzwischen eine nicht mehr zu ignorierende alternative Israel-Lobby in den USA etabliert: J-Street eine Organisation, die seit Jahr und Tag gegen die Politik der israelischen Rechten opponiert.
Und die jüngste Umfrage des PEW Research Center ergibt: Über 60 Prozent der amerikanischen Juden halten die friedliche Koexistenz von Israel und einem Palästinenserstaat für durchaus möglich.
USA: Bisher gilt Barack Obamas Außenpolitik als eher glücklos. Der amerikanische Präsident braucht in seiner zweiten Amtszeit nun dringend einen vorzeigbaren Erfolg. Das Gerangel um den geplanten Militärschlag gegen Syrien hat gezeigt, wie kriegsmüde die Amerikaner sind. Obama kann also ohne Gefahr, als Weichei zu gelten das tun, was seinem politischen Naturell ohnehin entspricht: Diplomatie forcieren. Gerade auch in Nahost.
All dies bedenkend, erscheint es trotz aller gegenteiliger Erfahrungen nicht völlig vermessen, auf eine Phase der Détente in dieser so explosiven Weltregion zu hoffen.
@GeorgOstenhof folgen // !function(d,s,id){var js,fjs=d.getElementsByTagName(s)[0];if(!d.getElementById(id)){js=d.createElement(s);js.id=id;js.src="//platform.twitter.com/widgets.js";fjs.parentNode.insertBefore(js,fjs);}}(document,"script","twitter-wjs"); //