Georg Hoffmann-Ostenhof: Europa lebt!
Im vergangenen Jahr schien es ganz so, als sei die EU nicht mehr zu retten. Die Populisten, die ihr den Garaus machen wollen, waren 2016 gewaltig im Aufschwung. Der Brexit wurde als Beginn vom endgültigen Zerfall der Union gelesen und das europäische Projekt zunehmend als Utopie einer untergegangenen Zeit empfunden.
Und dann kam noch Donald Trump: Die Le Pens, Straches, Wilders und Konsorten ließen ob des Sieges des amerikanischen Freundes die Sektkorken knallen. Das Jahr 2017 würde ihres sein, frohlockten sie. Die populistischen Europafeinde könnten sich freilich täuschen.
Das Meinungsklima scheint sich gerade zu ändern. Ja, eine kleine EU-Renaissance zeichnet sich ab. Es war schon erstaunlich, dass die deutschen Sozialdemokraten darauf spekulierten, mit Martin Schulz, dem langjährigen Präsidenten des EU-Parlaments, als Kanzlerkandidaten bei den Wahlen im kommenden Herbst aus ihrem historischen Tief herauskommen zu können. Dass aber diese Kalkulation offenbar auch noch aufgehen dürfte, ist geradezu sensationell: Der proeuropäischste Politiker des Landes wurde binnen weniger Tage auch zum populärsten. Er überflügelt in den Umfragen die Langzeitkanzlerin Angela Merkel. Und die SPD hat die besten Umfragewerte seit Jahren. Eine Mehrheit der Deutschen will Schulz als künftigen Regierungschef sehen.
Ob er das dann wirklich wird, ist fraglich. Eher unwahrscheinlich. Aber dass Schulz, der knorrige linke Supereuropäer, derzeit als Hoffnungsträger, ja, geradezu als Mann der Vorsehung gefeiert wird (und der Aufwärtstrend der rechtspopulistischen AfD gestoppt erscheint), ist ebenso überraschend wie vielsagend.
Ähnliches spielt sich in Frankreich ab. Im Mai wird der Nachfolger von Präsident François Hollande gekürt. Und wie bei den Deutschen ist auch bei den Franzosen politisch so einiges in Bewegung geraten. Wer immer mit Marine Le Pen, die es mit Sicherheit in die Stichwahl schafft, letztlich die Klinge kreuzen wird – der Chefin der Nationalen Front, die unverhohlen zur Zerstörung der EU aufruft, wird eine klare europäische Perspektive entgegengesetzt.
Noch ist nicht klar, wer für das bürgerlich-demokratische Lager in den Ring steigt. Dem bisherigen Spitzenkandidaten der Republikaner, dem durchaus europafreundlichen Ex-Premier François Fillon – ein konservativer Wirtschaftsliberaler – wird vorgeworfen, seiner Frau und seinen Kindern für nicht geleistete Arbeit über viele Jahre hindurch insgesamt etwa eine Million Euro aus der Staatskasse überwiesen zu haben. Fillon wird den Skandal nicht überstehen. Und da muss die demokratische Rechte schon einen Wunderwuzzi aus dem Hut zaubern, um im entscheidenden zweiten Wahlgang noch mitspielen zu können.
Ohne eine starke deutsch-französische Achse ist die bis heute so schmerzlich vermisste Handlungsfähigkeit Europas nicht wiederzuerlangen.
Als Favorit gilt aus heutiger Sicht der junge Emmanuel Macron, ein ehemaliger sozialistischer Wirtschaftsminister, der mit seiner erst vor wenigen Monaten neu gegründeten Mittepartei En Marche Furore macht. Er scheint wirklich auf dem Weg ins Präsidentenamt zu sein. Dem liberalen Wirtschaftsreformer und glühenden Europäer – eine politische Kombination, die bislang im auf den Staat und auf nationale Souveränität fixierten Frankreich kaum Erfolgschancen hatte – fliegen nun die Herzen zu. In seinen Wahlveranstaltungen wird neben der Tricolore die EU-Fahne geschwenkt. Und alle Umfragen machen klar: Tritt er gegen Madame Le Pen an, ist ihm der Sieg so gut wie sicher.
Die Sozialisten werden beim Endspiel der Präsidentenwahl wohl passen müssen. Die französische Linke insgesamt ist einfach zu zersplittert. Aber auch Benoît Hamon vom linken Flügel der Sozialistischen Partei, der nach unerwartet klar gewonnener Vorwahl für diese in die Schlacht um den Élysée-Palast zieht und die politische Fantasie seiner vor allem jungen Adoranten beflügelt, verbirgt seine pointiert-europäischen Überzeugungen nicht. Ein Novum: Bisher waren französische Linkssozialisten nicht viel weniger europafeindlich als die Rechtspopulisten.
Anderswo mehren sich ebenfalls die Anzeichen dafür, dass die Leute in diesen Tagen die EU gar nicht so sehr verabscheuen, wie es die Populisten wollen. (Auch die Wahl von Alexander Van der Bellen deutet in diese Richtung.) Kein Wunder. Im Westen Donald Trump, Wladimir Putin im Osten, und im Süden die vielen, die sich aus Elend und vor Verfolgung zu uns retten wollen: Da ist zu verstehen, dass nun sogar mancher, der noch vor Kurzem alles Böse aus Brüssel kommen sah, umzudenken beginnt und erkennt, dass gerade die EU jenen Schutz bietet, der in unseren bedrohlichen Zeiten so dringend benötigt wird.
Aber begreifen auch die bisher meist national-egoistisch agierenden politischen Eliten Europas, dass es jetzt gilt, sich zusammenzuraufen? Noch ist das nicht klar. Sollte aber der linksliberale Macron an der Seine das Rennen machen und in Deutschland die SPD mit dem EU-Politiker Schulz gestärkt in eine neuerliche Koalition mit Angela Merkel gehen, kann europäische Hoffnung geschöpft werden.
In dieser Konstellation würden Berlin und Paris wieder enger zusammenrücken. Und das wäre überaus wichtig. Denn es ist klar: Ohne eine starke deutsch-französische Achse ist die bis heute so schmerzlich vermisste Handlungsfähigkeit Europas nicht wiederzuerlangen.
Vielleicht wird 2017 doch nicht so furchtbar, wie alle glauben.