Georg Hoffmann-Ostenhof: L’Europe en marche
Inzwischen haben es sogar die notorischen Schwarz-seher begriffen: Die europafeindlichen Nationalisten, die fast überall in der EU noch vor wenigen Monaten unaufhaltbar voranstürmten, sind gestoppt. Rien ne va plus. Bleibt die Frage: Kann nun Hoffnung geschöpft werden, dass es mit der EU wieder aufwärts geht? Ist die Gesundung Europas ein realistisches Szenario? Allein in den vergangenen 14 Tagen konnten sich Freunde des europäischen Projekts gleich zwei Mal freuen: In Helsinki wurden die Wahren Finnen aus der Regierung geworfen. Und in Italien erlitt die Fünf-Sterne-Bewegung bei Kommunalwahlen ein Debakel.
Noch vor zwei Jahren vereinigten die rechtspopulistischen Wahren Finnen bei Wahlen 18 Prozent der Stimmen auf sich. Jetzt stehen laut Umfragen nicht einmal mehr neun Prozent hinter ihnen. Eine neu gewählte Parteiführung will nun mit radikalerem Anti-Brüssel-Kurs und mit verstärkter Hetze gegen Migranten ihre Popularität zurückgewinnen. Nicht nur kündigte daraufhin der konservative Regierungschef die Koalition mit den Rechtsrechten auf, auch die Mehrheit der Abgeordneten der Populistenpartei wollte den extremistischen Schwenk nicht mitmachen und spaltete sich ab.
Die große antieuropäische Partei Italiens, die Cinque-Stelle-Bewegung des Beppe Grillo (von der man nicht genau weiß, ob sie links- oder rechtspopulistisch ist), ist zwar in Umfragen noch die stärkste politische Kraft des Landes. Bei den jüngsten Kommunalwahlen konnte sie allerdings in keiner einzigen der wichtigen Städte ihren Kandidaten auch nur in die Stichwahl bringen.
So schrecklich der Brexit auch sein mag, für die Union eröffnet er auch Chancen.
Den europäischen Nationalisten geht es tatsächlich – vor allem im Westen des Kontinents – miserabel: In beeindruckender Weise hat Nate Silver, jener amerikanischer Stardemoskop, der für seine präzisen und verlässlichen Analysen von US-Wahlen berühmt ist, das jüngste Absacken der europäischen Rechtspopulisten und Antieuropäer nachgezeichnet. Seine Kurven zeigen deutlich, wie ihnen überall – von Österreich und den Niederlanden bis Frankreich, Deutschland und Großbritannien – die Luft ausgeht. Und Silver entdeckt, dass sie jeweils bei den Wahlen schlechter abschnitten, als es die Umfragen prognostiziert hatten. Lange Zeit war es genau umgekehrt gewesen.
Schließlich liest er aus seinen Daten heraus, wer Hauptschuld hat an dieser Entwicklung: Donald Trump. Als dieser das Weiße Haus eroberte, begrüßten Heinz-Christian Strache, Geert Wilders, Marine Le Pen, die deutsche AfD und in Großbritannien nicht nur die rabiaten Brexitkämpfer der UKIP, sondern auch die britische Premierministerin Theresa May mehr oder minder enthusiastisch den Wahlsieg Trumps. Das ist ihnen nicht gut bekommen. Den US-Horrorclown will niemand in Europa. „Donald Trump Is Making Europe Liberal Again“, betitelt Silver seinen Artikel.
Aber die Sache geht tiefer. Die EU verlor bekanntlich in den frühen 1990er-Jahren mit dem Untergang der Sowjetunion ihren großen Außenfeind. Der war aber für sie konstituierend. Und so wurde die Identifikation mit Europa immer schwächer. Aber plötzlich dämmert den Leuten: Wir sind von lauter Feinden umgeben. Wladimir Putin und Tayyip Recep Erdoğan im Osten, jetzt auch noch Trump im Westen: Da beginnen die Bürger der EU den Wert der Union wiederzuentdecken. Das Vertrauen in Brüssel und in den Euro ist von 2016 auf 2017 in allen Mitgliedsländern dramatisch gestiegen, diagnostiziert die Meinungsforschung.
Europa zeigt wieder ein stabiles Wirtschaftswachstum. Und zwar – welch Wunder – in allen EU-Ländern. Ausnahmslos.
Auch sonst wird Erfreuliches berichtet: Europa zeigt wieder ein stabiles Wirtschaftswachstum. Und zwar – welch Wunder – in allen EU-Ländern. Ausnahmslos.
Positive Wirtschaftsdaten, schwächelnde Europafeinde und verstärkte Zustimmung zu Europa – heißt das, dass die EU das Schlimmste hinter sich hat? Noch kann keine Entwarnung gegeben werden. Aber die Voraussetzungen dafür, dass Europa aus der Krise herausfindet, könnten besser nicht sein.
So schrecklich der Brexit auch sein mag, für Europa eröffnet er auch Chancen. Die Briten, die immerzu Europa auf eine Freihandelszone beschränkt sehen wollten, haben nachhaltig Widerstand gegen jegliche weitere wirtschaftliche und politische Integration der EU geleistet. Befreit vom „Störenfried“ jenseits des Channels kann das kontinentale Europa nun darangehen, sich jene Entscheidungsstrukturen zu geben, die es handlungsfähig machen.
Und dazu scheint das führende EU-Politpersonal bereit zu sein. Angesichts des Trump-Wahnsinns hat die deklarierte Atlantikerin Angela Merkel einen bemerkenswerten Satz formuliert: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück vorbei.“ Und sie machte klar, was das heißt: Es sei „extrem wichtig“, dass Europa ein internationaler Player werde und sein Schicksal selbst in die Hand nehme.
Das klinge sehr französisch, frohlockt man an der Seine. Da hat die neue Partei La Republique en Marche gerade ihren Erdrutschsieg hingelegt. Ihr Erfinder, Emmanuel Macron, der proeuropäischste Politiker des Landes, wurde inthronisiert. Und der neue Mann im Elysée-Palast ist ganz wild darauf, nicht nur Frankreich die (nicht zuletzt auch von Berlin immer wieder geforderte) längst fällige Modernisierung zu verpassen, sondern auch die EU von Grund auf zu reformieren und auf aktiven Wachstumskurs zu bringen.
Wächst da wieder zusammen, was zusammengehört? Begibt sich Europa „en marche“? Man kann nur sagen: Wann, wenn nicht jetzt.