Georg Hoffmann-Ostenhof: Extremisten und Wellenbrecher
Bevor die niederländische Politik wieder vom wohlverdienten weltweiten Desinteresse verschluckt wird – hier noch einige wenige Bemerkungen zur jüngsten Wahl:
• Es ist eine Gemeinheit: Nach dem nur mäßigen Abschneiden des wüsten Nationalisten und Islamhassers Geert Wilders (13 Prozent für seine PVV) werden nun die holländischen Wähler als Retter Europas gefeiert. Sie hätten die durch Europa rollende rechtspopulistische Welle gebrochen, wird frohlockt. Der nationalistische Aufschwung sei nun gestoppt. Österreich aber findet in der Berichterstattung keine Erwähnung.
Wie ungerecht, wurde doch bereits vor drei Monaten bei der Bundespräsidentenwahl unseren Rechtspopulisten eine klare Abfuhr erteilt. Hat die Welt vergessen, dass wir – wenn es stimmt, dass der Aufschwung der Rechtsrechten gestoppt ist – die ersten Wellenbrecher waren? Angesichts dieser mangelnden Anerkennung darf man sich doch ein wenig patriotisch gekränkt fühlen.
• „Kann mir wer sagen, wie jemand, der 13% bekommt, zum Dominostein hochstilisiert wird, der den Zerfall Europas einleiten wird?“, tweetete kürzlich der SP-Europa-Abgeordnete Eugen Freund. Und er hat ja recht. Die internationale Öffentlichkeit hat in den vergangenen Monaten ein seltsam verzerrtes Bild von den Niederlanden gezeichnet.
Wilders ist ja wirklich ein besonders schlimmer Finger. Er will die Moscheen schließen, den Koran verbieten. Und er propagiert den EU-Austritt. Aber im schlimmsten Fall wäre er in dieser zersplitterten Politlandschaft mit etwa 20 Prozent zur stärksten Partei geworden (so stark war er laut Umfragen im vergangenen Herbst). Ein Fünftel des Elektorats – das klingt nicht gerade dramatisch, und Wilders hätte selbst dann keine Chance auf eine Machtteilhabe gehabt. Niemand will mit ihm koalieren. Seit dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA zeigten die Meinungsforscher zudem, dass sich die Wähler wieder von Wilders abwendeten. Mit Angstlust hielten die Medien jedoch bis zuletzt daran fest, dass der Extremist auf dem Vormarsch sei und groß gewinnen könnte.
War das alles nicht hysterisch? Gewiss. Aber wir leben in hysterischen Zeiten. Wäre Wilders’ PVV zur stärksten Partei geworden – ihr Sieg hätte tatsächlich eine Signalwirkung gehabt: Er hätte wahrscheinlich seinen radikalnationalistischen Freunden in der EU, den Straches, Petrys und Le Pens, neuen Auftrieb verliehen. Die europäische Angst vor Wilders war also nicht völlig irrational.
Die proeuropäischen und kosmopolitischen Linksliberalen sind die wirklichen Gewinner.
• Dass der rechtsliberale Regierungschef Mark Rutte erleichtert ist, kann man gut verstehen. Dass er nun als Gewinner der Wahl und Wilders-Bezwinger gefeiert wird, weniger. Seine Partei VVD ist zwar die stärkste im Land geblieben. Aber sie hat Federn lassen müssen (fast ein Viertel ihrer bisherigen Parlamentssitze gingen verloren). Und Wilders verfehlte zwar sein hochfliegendes Wahlziel. Aber seine PVV kann immerhin einen Zuwachs von fünf Mandaten verzeichnen.
• Nicht unglücklich zeigte sich Ewald Stadler am Wahlabend in einer Fernsehdiskussion. Wilders (als dessen Anhänger der wehrhafte Christ und einstige Mitstreiter Jörg Haiders sich nicht bezeichnet sehen will) sei zwar nicht vorangestürmt, aber er habe „die Mainstreampolitik der Niederlande kräftig nach rechts verschoben“, erklärte Stadler höchst erfreut. Seiner Diagnose kann man nur zustimmen. In der Tat hat Rutte in letzter Zeit Töne angeschlagen, die sich kaum mehr von jenen des Geert Wilders unterscheiden.
• Was für Rutte und seine Partei möglicherweise den Absturz verhinderte, bedeutete jedoch für seinen Koalitionspartner, die Sozialdemokraten der PvdA, den Todesstoß. Sie mussten fünf Jahre den für ihre Klientel desaströsen Sparkurs Ruttes mittragen. Und jetzt biederten sie sich im Regierungsverband noch an die nationalistische Grundstimmung an: Diese Kombination war zu viel. Da wandten sich ihre bisherigen Anhänge mit Grausen ab. Die niederländische Sozialdemokratie büßte 29 Parlamentssitze von ihren 38 ein – sie implodierte.
• Die wirklichen Gewinner sind zwei kosmopolitiisch gesinnte, linksliberale Parteien. Sowohl D66 als auch GroenLinks konnten ihre Parlamentssitze vermehren: D66 um sechs auf 19. Den Grünen aber gelang es, ihre Vertretung in der Abgeordnetenkammer fast zu vervierfachen – auf 14.
Die Grünen verdanken ihren spektakulären Erfolg nicht zuletzt ihrem Chef, dem 30-jährigen Jesse Klaver. Der gut aussehende Charismatiker, der die Jugend begeistert – unter den 18- bis 29-Jährigen ist seine Partei Nummer eins – inkarniert als Sohn eines marokkanischen Vaters und einer holländisch-indonesischen Mutter bereits sinnfällig das Gegenprogramm zu Wilders Fremdenhass. Und wie auch D66 deklarieren sich die Grünen als vehemente Freunde eines starken Europas.
• An seine „linken Freunde in Europa“ sendet „Jessiah“, wie Klaver von seinen enthusiastischen Anhängern genannt wird, eine klare Botschaft: „Redet dem Volk nicht nach dem Maul. Bleibt bei euren Grundsätzen. Seid pro Flüchtlinge. Seid pro Europa. So kann man den Populismus stoppen.“
Dass an dieser Message was dran ist, hat Van der Bellen bereits gezeigt: Mit seinem prononciert proeuropäischen und anti-xenophoben Wahlkampf hat er gegen Norbert Hofer gewonnen.
Und der linksliberale Emmanuel Macron, der proeuropäischste Politiker Frankreichs, hat kürzlich Angela Merkels Flüchtlingspolitik überschwänglich gelobt. Macron wird, wie es aussieht, im Mai Marine Le Pen schlagen und in den Elysée-Palast einziehen.
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 12 vom 20.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.