Georg Hoffmann-Ostenhof Freundschaft trotz Snowden
Zwei Nachrichten vom Montag der vergangenen Woche dürften nicht die gebührende Aufmerksamkeit bekommen haben. Sie sind vielleicht nicht genügend spektakulär gewesen, um in diesem turbulenten Sommer als Breaking News behandelt zu werden. Trotzdem könnten sie sich als bedeutsamer herausstellen als vieles, was das Publikum dieser Tage so aufregt. Meldung eins: Die deutschen Ausfuhren brechen ein. Meldung zwei: USA und EU haben begonnen, über ein Freihandelsabkommen zu verhandeln.
Der Reihe nach: Im Vergleich zum Mai 2012 sind die Exporte im Wonnemonat dieses Jahres um nahezu fünf Prozent geschrumpft. Vor allem die Ausfuhren in die Länder der Eurozone sind abgesackt um an die zehn Prozent. Verkaufssteigerungen der deutschen Autoindustrie in den USA und China haben verhindert, dass die Wirtschaft des Exportweltmeisters Deutschland ihr Waterloo erlebt. Aber die Wachstumsraten im Land der Mitte und in den anderen Schwellenländern sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Und schon reden die Wirtschaftsforscher davon, dass die europäische Rezession nun auch Deutschland erfasst. Stagnation ist schon jetzt. Trübe Aussichten also.
Und man hat es ja gewusst. Seit Jahr und Tag versuchen Amerikaner, Südeuropäer, Linke und Mainstream-Ökonomen Angela Merkel den allzu harten Sparkurs auszureden, den sie Europa aufoktroyiert. Inmitten der Krise den Schuldenabbau zu forcieren, verschärfe diese nur, wird argumentiert. Das Wort vom Kaputtsparen macht die Runde. In den notleidenden EU-Staaten weiß man inzwischen nur zu gut, dass das nicht bloß Gerede ist. Auch die Argumentation, dass die Politik der Austerität nicht nur zu tiefen sozialen Verwerfungen in Europa führen müsse, sondern letztlich Deutschland sich selbst durch diesen Kurs schade, zog nicht. Merkel blieb stur die legendäre schwäbische Hausfrau. Und es war doch so klar: Wenn in weiten Teilen Europas massenhaft Verelendung Platz greift, wer soll dann Made in Germany kaufen?
Positiver ist die Nachricht von den transatlantischen Freihandelsgesprächen. Anfangs schienen die wegen der Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden gefährdet. Verärgert zeigten sich die Staatskanzleien über die universellen Spitzel-Programme der USA. Aber im Unterschied zu der zu Recht empörten EU-Öffentlichkeit hatte Snowden der politischen Elite in Europa nichts wirklich Neues verraten. Dort, wo sie können, observieren und lauschen die europäischen Schlapphüte ja ganz ähnlich wie ihre amerikanischen Kollegen. Die Geheimdienste von USA und EU tauschen untereinander Informationen aus. Und das gegenseitige Verwanzen scheint auch unter Bündnispartnern durchaus gängige Usance zu sein.
Realismus siegte über Emotion. Die Verhandlungen konnten trotz aller Verstimmungen doch noch beginnen. Das ist erfreulich. Eine transatlantische Freihandelszone ist jedenfalls ein gewaltiges Projekt, das die Hoffnung aufkommen lässt, Europa würde aus der wirtschaftlichen Sklerose doch noch herausfinden.
Schon jetzt ist der Handel zwischen USA und EU zwei Milliarden Euro täglich wert und umfasst damit beinahe die Hälfte des Welthandels. Der Wegfall von Zöllen, vor allem aber von unterschiedlichen technischen Normen, Sicherheitsstandards und Wettbewerbsbedingungen, könnte die Ökonomie beider Wirtschaftsräume enorm befeuern und Millionen Arbeitsplätze schaffen. Gewiss: Da wird es protektionistische Ausnahmen zuhauf geben wie etwa in Fragen von Gen-Lebensmitteln, französischem Käse, sogenannten Chlor-Hühnern, Rindern und vielem mehr. Aber selbst unvollständig gäbe ein US-europäisches Freetrade-Abkommen gewaltige Wachstumsimpulse.
Und es hätte auch seine politische Dimension. Darauf weist Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung hin: Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Griechenland-Krise 2009 hat die EU wieder ein Projekt, bei dem es um die Chancen der Zukunft und nicht hauptsächlich um die Fehler der Vergangenheit geht.
Schnell wird man die Gespräche freilich nicht zu einem Abschluss bringen. Die Dynamik einer transatlantischen Freihandelszone könnte sich also erst in ein paar Jahren entfalten. Was ist bis dahin?
Da ist Deutschland, die führende Volkswirtschaft der EU, gefordert. Deutschland müsse endlich seinen Binnenmarkt entwickeln, wird seit Langem angemahnt. Zwar haben im vergangenen Jahr die Löhne angezogen. Sie sind aber immer noch nicht höher als Anfang des Jahrhunderts. Wenn jetzt die Exporte wegbrechen, zeigt sich deutlich, dass die beschränkte Kaufkraft im Land zu einem echten Problem wird.
Im europäischen wie auch im eigenen Interesse wäre es dringend nötig, dass Berlin die Weichen umstellt: Von einer ängstlichen Austeritätspolitik hin zu einem offensiven Wachstumskurs. Die Voraussetzungen können dafür besser nicht sein: Der deutsche Haushalt ist faktisch ausgeglichen, und neu verschulden kann sich die Bundesrepublik zu historisch einmalig niedrigen Zinssätzen.
Bleibt die Frage: Wird unter dem Druck der Verhältnisse wirtschaftspolitische Vernunft die tief sitzende deutsche Spar-Ideologie überwinden? Skepsis ist angebracht.
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