Georg Hoffmann-Ostenhof: Goodbye GB, welcome English!
Kurz nachdem die Briten beschlossen hatten, die EU zu verlassen, sagte der amtierende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einem Treffen in Florenz, er werde Französisch sprechen, „weil Englisch langsam, aber sicher an Bedeutung verlieren wird“.
Das hörte man in Paris gerne: Französisch werde nun, nach dem Brexit, seinen angestammten Platz als führendes Idiom in der EU wiedererlangen. Der Korrespondent der Tageszeitung „Libération“ Jean Quatremer fragte etwa jüngst: „Warum sollen die 450 Millionen europäischen Bürger in einer zukünftigen Minderheitssprache regiert werden?“ Und nicht nur in Frankreich sehen viele die Gelegenheit gekommen. Es gelte nun, der „Quasi-Einheitssprache“ den Kampf anzusagen, tönte es etwa aus Deutschland.
Tatsächlich werden nach dem Austritt der Briten nur noch ein Prozent der EU-Bevölkerung – die Iren und Malteser – Native Speaker sein. Aber Juncker dürfte sich irren. Es wird kaum gelingen, dieser Sprache von jenseits des Kanals die linguistische Führungsrolle auf dem Kontinent streitig zu machen.
Als eine der drei Arbeitssprachen der EU hat Englisch längst Französisch und Deutsch hinter sich gelassen. Vor allem mit der großen Osterweiterung 2004 hat das Französische viel von seiner vormaligen Bedeutung in den Brüsseler Institutionen eingebüßt. Deutsch hört man in den EU-Gremien ohnehin nur selten. Und das wird sich durch den Brexit auf absehbare Zeit nicht ändern.
Mehr noch: „Es hat nie einen günstigeren Moment gegeben, um Englisch als die Amtssprache der EU zu etablieren“, meint das britische Magazin „The Economist“. Es sei nach dem Ausscheiden Großbritanniens „als eine neutrale Sprache ideal für die Kommunikation zwischen Europäern rivalisierender Idiome“.
Auf solche Ideen kommen aber beileibe nicht nur Briten, denen man Eigeninteressen unterstellen könnte. Joachim Gauck, der ehemalige deutsche Bundespräsident, hat bereits bei seinem Amtsantritt 2013 für Englisch als gemeinsame europäische Verkehrssprache plädiert. Jenen, die den Verlust nationaler Identitäten und sprachlicher Vielfalt fürchten, antwortete er: „Ich bin überzeugt, dass in Europa beides nebeneinander leben kann: Beheimatung in der eigenen Muttersprache und ihrer Poesie und ein praktikables Englisch für alle Lebenslagen und Lebensalter.“
Wann, wenn nicht jetzt, sollte Englisch zur Sprache der EU gemacht werden?
Für Philippe Van Parijs, den belgischen Ökonomen, wäre dies geradezu ein Akt der „linguistischen Repatriierung“, liegen doch die Wurzeln des Englischen am Kontinent – bei den germanischen Stämmen der Angeln und Sachsen, die im fünften Jahrhundert auf die Insel übersetzten, und den Normannen, die im elften Jahrhundert den lateinisch-französischen Einschlag mitbrachten. „We want our language back“, witzelt von Parijs: „Wir sollten uns jedenfalls allmählich davon verabschieden, diese Sprache immer nur mit dem Union Jack in Verbindung zu bringen.“
In der Tat hat sich Englisch längst von seiner britischen – und später nordamerikanischen – Herkunft emanzipiert. So wie die Menschenrechte nicht mehr an ihrem französischen Ursprung haften, sondern universell geworden sind, so gehört Englisch heute nicht mehr den Briten und Amerikanern, sondern weltweit uns allen, die wir es mehr oder minder gut sprechen. Es hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zur wichtigsten Lingua franca entwickelt. Im Vergleich zu früheren, etwa dem Griechischen im Europa der Antike, dem Latein bis in die Neuzeit und dem Französischen ab dem 18. Jahrhundert, hat nun im 21. Jahrhundert die Sprache Shakespeares die Chance, die erste Lingua franca zu werden, deren Verwendung nicht auf politische, wirtschaftliche oder kulturelle Eliten beschränkt ist.
In Europa ist dies schon weit gediehen. 97 Prozent der 13-Jährigen in der EU lernen Englisch. Pop und Internet tun ihr Übriges. Die internationale Zivilgesellschaft sowie kontinentweite Bewegungen von unten wie etwa die aktuelle Klima-Bewegung „Fridays for Future“ verständigen sich untereinander wie selbstverständlich auf Englisch.
Es stimmt: Wann, wenn nicht jetzt, sollte Englisch zur Sprache der EU gemacht werden? Das würde die Außenbeziehungen der Union vereinfachen, somit ihre weltpolitische Stellung stärken. Man würde sich gewaltige Übersetzungskosten ersparen, Gelder, die man in die weitere Förderung des englischen Spracherwerbs der EU-Bürger investieren sollte. Auf mittlere Sicht könnte dann Englisch als zusätzliche Amtssprache in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Union eingeführt werden. Europa würde so zweisprachig werden. Das ist die Perspektive.
Zitieren wir noch einmal Joachim Gauck aus dem Jahr 2013: „Mit einer gemeinsamen Sprache ließe sich auch mein Wunschbild für das künftige Europa leichter umsetzen: eine europäische Agora, ein gemeinsamer Diskussionsraum für das demokratische Miteinander.“
Was vor sechs Jahren utopisch klang, gewinnt an Realismus. Und es ist klar: Die weitere Demokratisierung und Integration der Europäischen Union ist letztlich ohne eine gesamteuropäische Öffentlichkeit nicht zu haben. Und die wird englisch sein, oder sie wird nicht sein.
See you there!