Georg Hoffmann-Ostenhof: Der Griechenland-Deal
Alles sah nach einem Frontalzusammenstoß aus. Der Crash war programmiert. Und dann kam es doch nicht zum Ärgsten. Am Freitagabend gab es schließlich einen Deal. Der Bankrott Griechenlands ist vorerst abgewendet. Und die Wahrscheinlichkeit des Grexit, wie nun ein Ausscheiden von Hellas aus der Eurozone genannt wird, liegt wieder unter 50 Prozent. Aber hat damit die griechische Tragödie, die Europa nun seit Wochen mit Spannung verfolgt, wirklich ein Happy End? Und was oder wer hat schließlich die Wende gebracht?
Die vergangene Woche hatte es in sich. Montag sah es düster aus. Da brachen die Finanzminister der Währungsunion die Verhandlungen mit Griechenland ab. Unter deutscher Führung stellten sie – offenbar einmütig – ein Ultimatum: Entweder sucht Athen um die Verlängerung des Hilfsprogramms an, und zwar mit allem, was dazugehört. Oder aber die EU lässt Griechenland pleitegehen.
Die Drohung wirkte. Yanis Varoufakis, der linke Finanzminister, der noch zuvor so grandios der europäischen Austeritätspolitik insgesamt den Garaus machen wollte, schwenkte nach langem Zögern am Donnerstag die weiße Fahne. Was bisher strikt abgelehnt wurde, findet nun doch statt: Es wird um eine Verlängerung des Hilfsprogramms gebeten. Kein Wort mehr von Schuldenschnitt. Die in Griechenland verhasste Troika (Vertreter der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds – Repräsentanten der griechischen Gläubiger) heißt nicht mehr Troika, kontrolliert aber nach wie vor die griechische Sanierungspolitik. Das Memorandum mit den verhassten Auflagen heißt nicht mehr Memorandum, gilt aber weiter. Und Athen verpflichtet sich zu Sparsamkeit und Schuldendienst. Das Einzige, worum die griechische Linksregierung bittet, ist ein wenig Luft zum Atmen, einen Dispens von einigen wenigen sozial besonders devastierenden Reformen, die man dem Wahlvolk rückgängig zu machen versprochen und womit man die Wahlen gewonnen hatte – sowie die Perspektive, in ein paar Monaten einen neuen, besseren Deal aushandeln zu können.
Während Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Donnerstag noch von einem „positiven Signal“ sprach und auch die Börsen mit freundlichen Kurssteigerungen reagierten, kam es aus Berlin keine zehn Minuten nach dem Eintreffen des Varoufakis-Briefes knüppeldick: Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble schaltet auf hart. Unter dem begeisterten Beifall fast der gesamten deutschen Medien lehrte er die Griechen Mores: Der Vorschlag aus Athen sei substanzlos. Pacta sunt servanda – ohne Wenn und Aber. Das gelte eben auch für die Griechen. Wenn sie nicht mitmachen wollten, sei es eben aus: Dann gebe es kein Geld. Da könne man keine Kompromisse machen.
Das grobe Schäuble-Nein schien noch Freitagmittag unumstößlich. Und doch kam es dann am Abend zu einer Einigung. Was ist da passiert?
Ausschlaggebend dürfte wieder einmal Angela Merkel gewesen sein. Die deutsche Bundeskanzlerin hatte in der Nacht auf Freitag eine Stunde lang mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras telefoniert und dann offenbar ihren Finanzminister zum Einlenken gezwungen. In der Sache ist sie sich mit Schäuble wohl einig. Aber sie wollte offenbar nicht als jene deutsche Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die begonnen hat, ein halbes Jahrhundert europäische Integration rückabzuwickeln. Das Chaos eines Grexit zu riskieren, den Schäuble als durchaus gangbaren Weg ansieht, scheut sie. Und das ist nicht das erste Mal.
Schon im Herbst 2012 hatte der deutsche Finanzminister Griechenland ziehen lassen wollen und musste von Merkel auf Linie gebracht werden. Damals kam die Kanzlerin gerade aus Peking zurück, wo man ihr klar gemacht hatte, dass China zu einer EU, die nicht einmal ein kleines Land wie Griechenland halten und integrieren könne, wenig Vertrauen hätte – auch, was Investments betreffe.
Schäuble hat aber auch sein Blatt überreizt. Da mag ja nicht nur Deutschland als tonangebender Macht in der EU, sondern auch den meisten anderen europäischen Premiers und Finanzministern die links-pathetische und großsprecherische Unangepasstheit der neuen Griechen auf die Nerven gegangen sein. Aber der Finanzminister aus Berlin war vergangene Woche dennoch auf dem besten Weg, sich zum Buhmann der Eurozone zu machen. Denn insgeheim teilen viele europäische Regierungen die Kritik von Tsipras und Co. an der europäischen Krisenpolitik „made in Germany“. Und die meisten Ökonomen, aus deren Zunft ja auch Varoufakis stammt, weisen seit Langem darauf hin, dass die Umsetzung des deutschen Spardogmas in der Realität Europa nur noch tiefer in die Krise geführt hat und die Staatsschulden wachsen ließ, anstatt sie abzubauen.
Zweifellos mussten die griechischen Linkspolitiker beim jetzigen Kompromiss Federn lassen, und zwar mehr als ihr EU-Gegenüber. Man wird sie dennoch zu Hause als Sieger feiern – und liegt damit nicht völlig falsch. Denn so unprofessionell die neue griechische Regierung in den Augen ihrer Verhandlungspartner vorgegangen sein mag: Tapfer gekämpft für die griechische Sache hat sie sicherlich. Das wird die Bevölkerung honorieren. Es ist anzunehmen, dass Syriza noch einige Zeit genug politisches Kapital im Land hat, um notwendige Veränderungen durchzusetzen.
Und schließlich haben Tsipras und seine Leute in der Auseinandersetzung der vergangenen Tage auch den Menschen in anderen Staaten gezeigt, dass – trotz allem – die bisherige EU-Politik nicht so alternativlos ist, wie behauptet.
Und ein wenig blamiert ist ihr Hauptkontrahent Wolfgang Schäuble auch.