Georg Hoffmann-Ostenhof Hysterie und Fortschritt
Es steht bereits Tage vor seinem Abschluss fest: Dieser Weltgipfel wird als Wendepunkt in die Geschichte eingehen. Mit Cop15 beginnt eine neue Ära. Die ganze Welt, die internationale öffentliche Meinung, die Politik, ja auch die Wirtschaft, alle sind sich in der Klimafrage einig wie in keinem anderen Bereich: Um zu verhindern, dass die Erde sich weiter erhitzt, muss Abschied genommen werden von den fossilen Energiequellen Öl und Kohle. Erneuerbare müssen an deren Stelle treten. Und Kopenhagen ist der Startschuss. Natürlich wird die Konferenz kritisiert werden. Zu wenig, zu langsam, wird es heißen. Der Süden und der Norden werden weiter darum streiten, wer mehr tun soll. Aber die Grundsatzentscheidung ist getroffen.
Die Frage sei freilich erlaubt, warum das alles so hysterisch vor sich gehen muss. Geht es nicht ohne Alarmismus? Warum muss gleich die Apokalypse strapaziert werden?
Kein Mensch bezweifelt mehr, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur im 20. Jahrhundert um zirka 0,7 Grad Celsius zugenommen und dass der Mensch Anteil an der Erderwärmung hat. Auch ist klar, dass massives Verfeuern von Öl und Kohle wie bisher, ein gleich bleibender oder steigender Ausstoß von CO2 die Klimaerwärmung noch beschleunigen würde und das gefährlich werden könnte. Welche Rolle Kohlendioxid dabei spielt und welchen Anteil der Mensch am Klimawandel wirklich hat, ist aber nicht zweifelsfrei gesichert.
Alle Hochrechnungen, die angeben, um wie viele Celsiusgrade sich in 50 oder 100 Jahren die Erde erwärmt haben und um wie viele Meter der Meeresspiegel gestiegen sein wird, sind höchst suspekt. Aber kaum einer traut sich zu fragen, ob es seriös sein kann, so komplexe globale Klimageschehen langfristig vorherzusagen, wo doch etwa Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung nur eines Jahres sich immer wieder als völlig verfehlt herausstellen.
Die Öffentlichkeit stürzt sich auf die von den Wissenschaftern gezeichneten Worst-Case-Szenarien und malt sich diese in den grellsten Farben aus. Alte Bilder von versinkenden Städten, verschwindenden Inseln, von verwüsteten, einst blühenden Landschaften erhitzen die Fantasie der Menschen. Wir trauern um den sterbenden Gletscher wie um einen nächsten Verwandten. Das Foto eines einsamen Eisbären auf einer im Nordmeer treibenden und schmelzenden Scholle wird zur globalen Ikone. Dass die Spezies Eisbär schon mehrere erdgeschichtliche Wärmeperioden prächtig überlebt und sich sein Bestand seit einem halben Jahrhundert nicht verkleinert, sondern im Gegenteil vergrößert hat, spielt dabei keine Rolle.
Und die Sprache, mit der über Treibgase, Energie und Klima gesprochen wird, nimmt eine geradezu religiöse Färbung an. Umkehr wird gepredigt, der Mensch möge erwachen, sonst könne er nicht gerettet werden. Verzicht und Opfer werden: Pullover und Mantel anziehen und den Thermostat in der Wohnung hinunterdrehen, auf Fernreisen möglichst verzichten, mehr Rad fahren, sich von heimischen Früchten nähren und Energiesparlampen einschrauben. Kurz: Erlösung gibt es nur, wenn von der Sünde abgelassen wird.
Und dann erinnert man sich: Die Gefühlslage war beim Waldsterben in den achtziger Jahren ähnlich, als die breite Öffentlichkeit sicher war, dass in wenigen Jahren in unseren Breiten kein Baum mehr stehen würde. Im Jahrzehnt davor sah man aufgeregt die Grenzen des Wachstums schon gekommen: Für 1990 sagte der viel gepriesene Club of Rome das Versiegen der Ölquellen voraus. Auch die anderen wichtigen Rohstoffe würden demnächst zur Neige gehen. Bekanntlich ist weder der Wald auch nur ansatzweise gestorben, noch sind bisher real die natürlichen Ressourcen knapp geworden.
Und dennoch. Der Überschuss an Angst und Schrecken hat Positives gebracht: Die Fantasie der absoluten Knappheit hat das segensreiche Konzept der Nachhaltigkeit in die Welt gebracht. Auch die düstere Perspektive einer Zukunft ohne Bäume war nicht nur verrückt: Zumindest trug sie wesentlich dazu bei, die globale Luftverschmutzung drastisch zu verringern.
Offenbar ist menschlicher Fortschritt ohne solche Ängste nicht zu haben. Für grundlegende Veränderungen bedarf es offenbar großer emotionaler Aufwallungen. Um noch weiter zurückzuschauen: Hätte die Linke nicht den festen, aber falschen Glauben vertreten, dass der Kapitalismus die Massen unausweichlich in immer tieferes Elend stürze und nur der Sozialismus Rettung bringe, wären wohl keine Gewerkschaften entstanden, das Wahlrecht wäre nicht erkämpft worden, die Sozialstaatlichkeit, die Europa kennt, gäbe es nicht.
Hysterie erweist sich letztlich oft als Produktivkraft der Geschichte.
Was wirklich optimistisch für die Klimazukunft stimmt, sind aber weniger die Resolutionen, die demnächst in Kopenhagen beschlossen werden, weniger die CO2-Reduktionsziele und geplanten konkreten Maßnahmen der Regierungen dieser Welt als vielmehr die gewaltigen Summen, die von der Wirtschaft bereits jetzt in die Entwicklung von alternativen Energien gesteckt werden. Offensichtlich verspricht man sich davon saftige Gewinne. Die grüne Wirtschaft boomt. Und die Technologien für den Umstieg sind alle bereits vorhanden. Die lange Jahre beschworene Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wird von den Chefetagen jetzt geradezu gefeiert. Und langsam setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass die Systemumstellung in der Energiegewinnung der Motor für den langfristigen Wiederaufschwung der Weltwirtschaft sein wird.