Georg Hoffmann-Ostenhof Im freiheitlichen Fall
Es gibt kaum eine würdigere Art, den Jahrestag des Anschlusses Österreichs an Hitlerdeutschland zu begehen, als mit einer schweren Krise der Freiheitlichen Partei.
So geschehen in diesem Jahr. Nach dem Kärnten-Debakel, dem schwachen Abschneiden in Niederösterreich und enttäuschenden Umfragewerten für Heinz-Christian Strache auf Bundesebene jagt eine FP-Katastrophensitzung die andere. Und überall wird der jähe Absturz der Rechtsaußen-Formation analysiert. Die besondere Verkommenheit der Freiheitlichen im österreichischen Süden wird ebenso ins Treffen geführt wie die Unwiderstehlichkeit des Radlbrunner Charismatikers Erwin Pröll oder die Attraktivität Frank Stronachs, des greisen Populismus-Parvenus aus Steirisch-Kanada. Sehr viel tiefer schürfen bei ihrer Ursachenerforschung weder die Strache-Männer noch die heimischen Medien.
Da bedurfte es des aus Brüssel heimgeeilten FP-Intellektuellen und EU-Abgeordneten Andreas Mölzer, um darauf hinzuweisen, dass die Krise der österreichischen Freiheitlichen kein isoliertes Phänomen ist; dass die holländischen Rechtspopulisten des Geert Wilders kürzlich eine ähnliche Wahlschlappe wie die Austrorechten erlitten und auch die den österreichischen Blauen so eng verbundenen italienischen Separatisten der Lega Nord beim jüngsten Urnengang absackten. Die Probleme der FPÖ liegen also durchaus im europäischen Trend.
In allen Fällen verlieren diese Parteien vor allem an populistische Konkurrenten an die ehemals maoistische Sozialistische Partei in den Niederlanden, an die anarchische Chaotentruppe des Komikers Beppe Grillo in Italien und an den Multimilliardär Stronach bei uns. Diesen Bewegungen ist eines gemein: Sie sind allesamt weder ausländerfeindlich, noch wettern sie gegen Islam und Muslime.
Und da stellt sich die Frage, ob sich hinter der jetzt zutage tretenden FPÖ-Krise nicht doch auch eine Haltungsänderung der Bevölkerung abzeichnet. Als ich vor Kurzem auf Twitter vorsichtig andeutete, es könne ja sein, dass die FPÖ-Troubles auch darauf zurückgeführt werden könnten, dass die österreichische Bevölkerung dieser Tage einfach weniger rassistisch und xenophob ist als früher, empörten sich nicht wenige Mittwitterer und schalten mich des blauäugigen und verharmlosenden Optimismus. Die Annahme entbehre jeglicher realer Grundlagen.
Nun denn: Hier einige Indizien, die doch auf einen Wandel des austriakischen Bewusstseins schließen lassen.
>Man kann die konkrete Politik von Sebastian Kurz, dem jungen ÖVP-Staatssekretär für Integration, mögen oder nicht. Unbestritten aber steht er für eine inklusive Fremdenpolitik. Er hat den Ausländer und den Asylanten aus dem assoziativen Konnex zu Kriminalität und Sozialschmarotzertum herausgeholt. Und während sich in Österreich früher eher die Hardliner in Ausländerfragen großer Beliebtheit erfreuten, heißt heute der weitaus beliebteste Politiker des Landes Sebastian Kurz. Das kann doch kein Zufall sein.
>Wer die Jungen hat, dem gehört die Zukunft. Unter diesem Motto präsentierte der manische Disco-Besucher H. C. Strache seine FPÖ stolz als Österreichs Jugendpartei. Tatsächlich: Bei den Nationalratswahlen 2008 wählte ein Drittel der 16- bis 30-Jährigen die Freiheitlichen. Die Grünen kamen damals bei diesen Wählern auf 14 Prozent. Die jüngsten Urnengänge in Kärnten und Niederösterreich signalisieren jedoch eine Trendumkehr: In beiden Bundesländern waren nach einer SORA-Studie die Grünen bei den Jungen erstmals beliebter als die Freiheitlichen. Und in Tirol und Salzburg zeigt sich eine ähnliche Entwicklung.
>Natürlich sind nicht alle Gegner eines Türkei-Beitritts ressentimentgeladene Türkenfeinde. Viele aber doch. Und so können folgende Zahlen ebenfalls als Indikator für einen Rückgang der Ausländerfeindlichkeit gewertet werden. Noch immer gibt es in Österreich nur wenige Beitrittsbefürworter weniger als in den übrigen EU-Staaten. Aber der Anteil der expliziten Gegner ist laut Karmasin-Motivforschung von 61 Prozent im Jahr 2010 auf 47 Prozent 2012 geschrumpft.
>Wer regelmäßig und aufmerksam die heimischen Massenblätter liest, wird bemerkt haben, dass dort heute um vieles weniger gegen Ausländer und Asylanten, Migranten und Muslime gehetzt wird als zuvor. Auch die Berichterstattung über die Votivkirchen-Besetzer hielt sich weitgehend im zivilisierten Rahmen. Da hat sich am Boulevard atmosphärisch einiges geändert.
Gewiss bleibt das Paradox: So sehr es uns Österreichern wirtschaftlich besser als fast allen übrigen Europäern geht, so sehr sind wir nach wie vor auch bei Fremdenfeindlichkeit Spitzenreiter. Umso wichtiger ist es, zu erkennen, wenn da bei der Bevölkerung etwas in Bewegung gerät. Und es sieht ja tatsächlich so aus, als ob sich Kärnten auf den Weg in die österreichische und Österreich sich auf den Weg in die europäische Normalität begäbe.
Warum man aber hierzulande mit der Feststellung, dass sich etwas zum Besseren wendet, regelmäßig auf wütende Ablehnung stößt, warum tatsächlich eintretende Fortschritte gerade auch von Progressiven oft obsessiv verleugnet werden dieses österreichische Phänomen harrt einer Erklärung.
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