Georg Hoffmann-Ostenhof Jammert nicht!
Zwei der erfahrensten Innenpolitikjournalisten haben in mehreren Artikeln ihrer Abscheu vor der Bundesheer-Volksbefragung Ausdruck verliehen:
Die beiden Regierungsparteien hätten durch Postenschacher und Korruption bereits die repräsentative Demokratie weitgehend ruiniert, schreibt Andreas Koller von den Salzburger Nachrichten: Jetzt sind sie dabei, auch die direkte Demokratie zu ruinieren. Die Menschen hätten beim Referendum nur eine Gewissheit: für dumm verkauft zu werden. Der Titel seines viel beachteten Kommentars: Der Missbrauch des Wählers.
Ebenso erbost gibt sich Anneliese Rohrer in der Presse. Sie hofft, die Menschen mögen die taktischen Spielchen der Regierung durchschauen und mit einem Boykott für die demokratiepolitische Hygiene in diesem Land sorgen.
Der kritische Gestus gegenüber der etablierten Politik wirkt ja von vornherein sympathisch. Aber ist im Fall der bevorstehenden Volksbefragung dieser offenbar tief empfundene Ekel angemessen?
Eigentlich gar nicht. Da haben SPÖ und ÖVP diese sicher mit unlauteren Motiven angezettelt. Auch wird vielfach mit unsauberen Argumenten und haltlosen Polemiken gekämpft. Dennoch: Wann in den vergangenen Jahrzehnten hat die österreichische Sicherheitspolitik im Land je eine größere Öffentlichkeit beschäftigt? Es wird breit, differenziert und engagiert um die Zukunft unseres Heers gestritten. Die so genannte zivile Gesellschaft ist voll mobilisiert. Schlecht?
Und warum sich das Thema Bundesheer nicht für ein unmittelbares Volksvotum eignen soll, ist selbst für Skeptiker der direkten Demokratie wie mich nicht einsichtig. Wehrpflicht beibehalten oder abschaffen die Alternative ist klar formuliert. Und so komplex und undurchschaubar ist die dahinterstehende Realität auch wiederum nicht: Die Rekrutenarmee kennt man aus Erfahrung. Und das Funktionieren von Freiwilligenheeren kann man zuhauf in anderen EU-Ländern beobachten.
Was soll also das Jammern?
Eins freilich ist bei der Debatte zu monieren. Die eigentliche Aufgabe des Bundesheers kommt nur marginal zur Sprache. Just jene, die noch vor nicht allzu langer Zeit die Zivildiener als vaterlandslose Gesellen und haltlose Drückeberger beschimpft haben, schüren die Panik, das Rettungswesen und die Altenpflege würden zusammenbrechen, sollte die Wehrpflicht fallen. Die Frage, wer effektiver dem Volk bei Katastrophen zu Hilfe eilt, der Rekrut oder der Profisoldat, erhitzt die Gemüter. Gestritten wird hauptsächlich über Nebenaspekte. Die eigentliche Raison dÊtre jeglicher Armee, die Landesverteidigung, wird hingegen kaum thematisiert.
Eine unmittelbare Bedrohung ist freilich nicht auszumachen. Österreich betreffende Kriegsszenarien sind auch beim besten Willen nur sehr schwer vorstellbar. Können wir also beruhigt in eine friedliche Zukunft blicken?
Es sieht ganz so aus, Garantien gibt es aber keine. Mein Großvater erzählte mir einst eindrucksvoll davon, wie die Menschen vom Ersten Weltkrieg überrascht worden waren. Auf eine lange Friedenszeit zurückblickend, war man vor 1914 fest davon überzeugt, dass die Zivilisation bereits so weit fortgeschritten sei, dass zumindest in Europa Krieg endgültig eine Sache der Vergangenheit wäre. Und dann folgte fast ein halbes Jahrhundert bewaffneter Konflikte und organisierten Massenmordens. Eine ganze Generation von humanistischen und feinsinnigen Intellektuellen und Künstlern, denen Gewalt fremd zu sein schien, verwandelte sich jäh in eine Horde von barbarischen Kriegsbegeisterten.
Nein, die Weltgeschichte ist unberechenbar. Wer etwa 1988 prophezeit hätte, dass ein Jahr später der Kommunismus in Osteuropa unterginge, wäre für verrückt angesehen worden. Dass die Politbüros fast ohne einen Schuss abzugeben das Handtuch werfen würden, schien ebenso unvorstellbar, wie dass die Sowjetunion sich friedlich auflöste, Jugoslawien aber bei seinem Zerfall in einen zehnjährigen Bürgerkrieg versänke.
Und als vergangenes Jahr inmitten der Eurokrise Nationalisten im Aufwind waren und das Auseinanderbrechen der EU als realistisches Szenario erschien, war die Perspektive einer Rückkehr des Kriegerischen auf dem Kontinent nicht mehr völlig absurd.
Für den unwahrscheinlichen Ernstfall heißt es, vorbereitet und gerüstet zu sein. Zu allererst dafür ist das Bundesheer da. Klar ist aber auch: In unserer globalisierten Zeit kann diese Kernaufgabe der Armee nur im kontinentalen Kontext wahrgenommen werden, möglichen Gefahren in der Zukunft wird man allein schon aus Kostengründen nur gesamteuropäisch, kooperativ und arbeitsteilig begegnen können. Zielrichtung: integrierte Europa-Armee.
Dass der lange Weg dorthin besser mit einem kleinen, flexiblen Profiheer beschritten werden kann als mit einer bürokratischen, schwerfälligen Rekrutenarmee, ist offensichtlich. Man sollte sich von politverdrossenen Journalisten nicht für dumm verkaufen lassen: Es gilt, sich nicht die demokratische Chance entgehen zu lassen, über die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik mitzubestimmen.
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