Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Jenseits von Gut und Böse

Jenseits von Gut und Böse

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Man kann aufatmen: „Österreich ist gegenüber Verbrechen nicht neutral.“ Also sprach unser Bundespräsident Heinz Fischer am Rande der UN-Vollversammlung. Und die österreichischen Medien brachten den Sager des Staatsoberhauptes als Überschrift über den Bericht aus New York. Jetzt hat es die Welt schwarz auf weiß: Wir Alpenrepublikaner sind definitiv gegen das Böse eingestellt.

Fürwahr eine kräftige Aussage. Und der Mann aus der Hofburg präzisiert: Besonders gegenüber Terrorismus, der ja ein „Verbrechen sui generis“ sei, gebe es keine Neutralität. Die unsere wollen wir freilich auf keinen Fall verletzen: „Wir werden weiterhin nichts tun, was wir bisher nicht tun wollten“, sagt Fischer. Wenn Österreich an der Allianz zur Bekämpfung des IS-Terrors teilnehme, würden keine Verpflichtungen eingegangen, die über den aktuellen Stand der Neutralität hinausgehen. Außenminister Sebastian Kurz sekundiert: Die gelte militärisch, „das bedeutet aber nicht, dass wir keine Meinung haben“. Und die wird man doch wohl noch sagen dürfen.
Uff! Unsere Eurofighter düsen also nicht in Richtung Morgenland. Wieder können wir aufatmen: Die teuren Flugzeuge bleiben auf dem Boden, sicher im Hangar von Zeltweg verwahrt. Die österreichische Meinung reicht freilich auch wiederum nicht so weit, dass wir die alliierten Luftschläge gegen die Kalifat-Terroristen explizit guthießen oder gar unterstützten. Denn militärisch sind wir – wie gesagt – neutral. Und ob wir alliierten Kampfbombern Überfluggenehmigungen erteilen werden, müsse völkerrechtlich erst im Einzelfall geprüft werden, erklärt Kurz.
Es ist erbärmlich. Allein, dass der von mir sonst so hochgeschätzte Heinz Fischer erklären muss, dass man bei Verbrechen zwischen Täter und Opfer unterscheide, diesen beiden gegenüber keine gleiche Distanz wahre, und dass dies eine Meldung wert ist, zeigt doch, was für ein verrücktes, ja, verkommenes Konzept die österreichische Neutralität geworden ist.
Kann diese in ruhigen, stabilen weltpolitischen Zeiten noch als harmlose Marotte durchgehen, so entfaltet sie dann, wenn es turbulent wird und Konflikte eskalieren, ihre ganze Peinlichkeit.

So auch in der Ukraine-Frage. Erinnern wir uns an Wladimir Putins Wien-Besuch Ende Juni, bei dem dieser – die Krim hatte er sich bereits militärisch unter den Nagel gerissen – mit Standing Ovations empfangen wurde. Da kritisierte Heinz Fischer, der oberste Hüter der österreichischen Neutralität, zwar die russische Annexion der Halbinsel, aber von Sanktionen wollte er partout nichts wissen: „Von diesen profitiert niemand.“ Anstelle der Sanktionen (nicht zusätzlich zu ihnen) sollte der Dialog treten, bei dem aber, bitte schön, „auch Kiew seinen Beitrag leisten“ müsse. Also doch Äquidistanz zu Aggressor und Angegriffenem?

Zum Glück ist die österreichische Politik in diesem Punkt dem Hofburg-Geist der Neutralität nicht gefolgt. Die Ablehnung der Sanktionen überlässt man inzwischen Heinz-Christian Strache und Konsorten. Die Regierung trägt die Strafmaßnahmen gegen Moskau voll mit und verteidigt sie gegen ihre Gegner. Die Neutralität spielt freilich bei unserer Ukraine-Politik nach wie vor eine wichtige Rolle.

Zweifellos ist die Umtriebigkeit des Sebastian Kurz zu begrüßen. Die österreichische Außenpolitik wurde von dem gefeierten Jungpolitiker aus ihrem tiefen Dornröschenschlaf wachgeküsst. Dass er aber in Kiew, Moskau und Brüssel die Neutralität à l’autrichienne als nachahmenswert für die Ukraine anpreist, mit diesem Staatskonzept geradezu hausieren geht, ist bedenklich. Der ehemalige ÖVP-Chef Erhard Busek bringt es im „Standard“ auf den Punkt: Derartige Neutralitäts-Empfehlungen „wären vor einigen Jahren richtig gewesen, ebenso die Aufforderung zu einer Föderalisierung“. Heute befinde sich jedoch die Ukraine im Kriegszustand mit Russland, und da weisen solche wohlgemeinten Ratschläge in Richtung einer „Aufteilung des Landes und einer Quasi-Übergabe an Moskau“.

Um nicht missverstanden zu werden: Vielleicht wird sich einmal die militärische Neutralität einer Ukraine auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft als Element eines großen internationalen Deals mit Russland als sinnvoll erweisen. Das ist möglich. Jetzt aber, inmitten des Schlachtengetümmels, mit einem derartigen Vorschlag zu intervenieren, ist von Übel.
Und besonders abstoßend ist, mit welchem Habitus der moralischen Überlegenheit die österreichische Neutralität immer wieder vor sich her getragen wird – so als ob wir den anderen zeigen müssten, wie eine bessere und zukunftsweisende Außenpolitik zu betreiben sei.
Der Philosoph Rudolf Burger hat bereits vor Jahren unsere Neutralität als „pseudo-moralische Erbauungskategorie“ entlarvt, die „einen Distinktionsprofit gegenüber anderen, in die geschichtliche Wirklichkeit verstrickten Nationen schafft“. Im Verband der EU, die zunehmend eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik anstrebt, sei sie allerdings „schon als Gedanke eine Skurrilität“.

Dem ist nur hinzuzufügen: In Zeiten von Kriegen nicht bloß eine Skurrilität.

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