Apple und Facebook finanzieren das Einfrieren der Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen. Dafür verdienen sie Applaus

Georg Hoffmann-Ostenhof: Kinder auf Eis

Kinder auf Eis

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Immer dann, wenn in die natürliche Ordnung eingegriffen wird, regt sich Unbehagen. Und dieses steigert sich zur Empörung, wenn dabei Intimes wie Sexualität und Reproduktion betroffen sind. Dann wird regelmäßig gewettert, dass der Mensch sich anmaßt, Gott zu spielen. Diesmal wollen noch dazu Großkonzerne, die ohnehin angeblich bereits unsere Privatheit bedrohen, der Natur ins Handwerk pfuschen. Es war also vorherzusehen, dass ein Shitstorm durch alle Medien und Netze toben würde, als die Nachricht kam, dass Apple und Facebook vorhaben, ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen zu bezahlen.

Von überall ertönt die vernichtende Kritik an diesem „irrsinnigen“ und „grotesken“ Projekt. Die Dystopie einer endgültig erkalteten technischen Welt wird gezeichnet, poetisch der Weg durch das „Tal der auf Eis gelegten Gefühle“ vorausgesagt und menschliche Hybris und „Machbarkeitswahn“ von Großkonzernen gegeißelt. Aber ist das wirklich alles so schlimm? Oder signalisiert nicht die Meldung aus dem Silicon Valley sogar einen weiteren Schritt im Prozess der Emanzipation des Menschen – in diesem Fall der Frau?

Zunächst geht es um die Frage, was für die Kyrokonservierung (das Schockfrieren) von weiblichen Eizellen spricht – und was dagegen. In einem zweiten Schritt gilt es zu beantworten, ob Apples und Facebooks finanzielle Unterstützung jener Mitarbeiterinnen, die noch nicht bereit sind, Kinder zu bekommen, aber ihre Eizellen in den Gefrierschrank legen wollen, bevor ihre Fruchtbarkeit abzunehmen beginnt, letztlich negativ oder positiv zu bewerten ist.

Religiöse Argumente für die Ablehnung dieser Reproduktionsmethode liegen auf der Hand. Nichtreligiöse sind freilich schwer zu finden. Das Eizellen-Einfrieren, das erst in den vergangenen Jahren perfektioniert wurde, gibt den Frauen ein weiteres Stück an Selbstbestimmung. Mit der Antibabypille konnten sie erstmals wirklich entscheiden, wann und unter welchen Umständen sie keine Kinder wollen. Mit der Kyrokonservierung sind sie nun in die Lage versetzt, gezielt positive Familienplanung zu betreiben.
Jedenfalls wird die vielfach beklagte biologische Ungerechtigkeit geringer, dass es Frauen in einer nur sehr kurzen Zeitspanne möglich ist, sich fortzupflanzen, die Männer aber bis ins hohe Alter zeugungsfähig sind. Es ist ja wirklich fatal: Im Alter von Mitte bis Ende 20 haben die Frauen in unseren Breiten die Ausbildung abgeschlossen, ab 35 wird es immer schwerer und riskanter, ein Kind zu bekommen. Da bleibt für die Reproduktion erschreckend wenig Zeit. Die kann mit dem Eizellen-Einfrieren ein bisschen ausgedehnt werden.

„Früher musste die Karriere auf Eis gelegt werden, um Kinder zu kriegen. Heute kann man die Kinder auf Eis legen, um Karriere zu machen“, höhnt Birgit Kelle im Magazin „The European“. Was freilich so besonders egoistisch und verdammenswert sein soll, aus Gründen der Berufsplanung die Familiengründung um ein paar Jahre zu verschieben, ist nicht einzusehen.

Und meistens geht es gar nicht um die Karriere. Die New Yorker Reproduktions-Medizinerin Chavi Eve Karkowsky berichtet, dass sich vor allem Single-Frauen für das Eizellen-Einfrieren interessieren und entscheiden. Sie wollen nicht die biologische Uhr ticken hören und in Torschlusspanik hektisch einen Partner suchen, mit dem sie ein Baby haben und das Kind aufziehen wollen. Mit der Eizelle im Tiefkühlfach können sie viel entspannter auf den Richtigen warten. Manche unglückliche Ehe, die nur auf dem Kinderwunsch der Frau basiert, wird so wohl ungeschlossen bleiben.

Mit einem Argument freilich treffen die Gegner einen Punkt: Die Unvereinbarkeit von Kind und Beruf sei kein biologisches Schicksal, sondern gesellschaftlich begründet. Zu wenige leistbare Kinderbetreuungsplätze, Väter, die nicht ihren Teil an Erziehung und Haushalt übernehmen, und Ideologien, die ambitionierte Frauen als kinderhassende Karrieremonster abstempeln – all das schaffe die Misere, die nicht durch technische Innovationen, sondern nur durch gesellschaftlichen Kampf zu beheben sei.
Aber schließen einander frauenfreundliche Politik und die neue Reproduktionstechnik aus, fragt Chavi Eve Karkowsky. Kann das nicht kombiniert werden?

Es kann: Just die jetzt so in der Kritik stehenden IT-Firmen Apple und Facebook zeigen das. Man wirft ihnen vor, sie wollten sich mit ihrem Vorstoß Mitarbeiterinnen sichern, die ungestört von Stillen und Babygeschrei, nicht abgelenkt von Schulsorgen und Kinderkrankheiten, effizient funktionieren. Tatsächlich aber haben die beiden US-Multis ein auffällig großes Herz für Kinder und Mütter. Sie unterstützen ihre Mitarbeiter bei der Familiengründung. Facebook zahlt 4000 Dollar Geburtengeld, beide Konzerne haben unternehmenseigene Kindergärten und bieten Müttern – worauf diese gesetzlich keinen Anspruch haben – vier Monate bezahlte Karenz. Auch an den Kosten, die bei Adoption und künstlicher Befruchtung anfallen, beteiligen sie sich.

Die bösartigen Absichten, die man Facebook und Apple unterstellt, haben sie einfach nicht. Ihr tatsächliches Motiv: Sie wollen mehr Frauen in ihren Reihen, weil Diversität gut fürs Geschäft und in dem jungen Silicon-Valley-Milieu ein starker Männer-Überhang einfach uncool ist.

Niemand wird gezwungen. Es ist ein Angebot – letztlich für mehr Selbstbestimmung und Freiheit. Dafür sollten Apple und Facebook nicht geprügelt werden. Nein, Gott spielen sie nicht. Agenten des Fortschritts sind sie allemal.

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Georg Hoffmann-Ostenhof