Georg Hoffmann-Ostenhof: Ein Kontinent, eine Armee

Claudia Gamon, die NEOS-Spitzenkandidatin zur Europawahl, hat die Debatte über die Zukunft der EU eröffnet. Dafür ist ihr zu danken.

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Das war schon sehr erfrischend, wie da Claudia Gamon, die junge NEOS-Spitzenkandidatin für die Europawahl, vergangene Woche in der „ZIB 2“ und im Parlament ihre Europa-Ideen präsentierte. Mit jugendlichem Enthusiasmus und klaren Worten plädierte sie für eine Europaarmee und für die Vereinigten Staaten von Europa als Ziel der EU, wissend, dass sie in der österreichischen Politik damit auf wenig Gegenliebe stoßen wird.

So kam es auch: Die mit Elan vorgetragene Vision einer Republik Europa wurde in der Parlamentsdebatte als bloße Träumerei abgetan oder als österreichfeindlich denunziert. Von einer Europaarmee wollte im Nationalrat niemand etwas wissen. Hände weg vom Bundesheer, hieß es von der rechten Seite, bei Gamons Ideen handle es sich um einen Anschlag auf die nationale Souveränität. Links ortete man hingegen Militarismus, der nie und nimmer die Antwort Europas auf die Herausforderungen der Zeit sein könne: Und die Neutralität währt, wie es heißt, eben immer …

Wiederum, wie so oft, scheint hierzulande eine politische Position, die in der übrigen EU längst Mainstream ist, hoffnungslos marginal und minoritär zu sein.

Inzwischen hat sich allgemein herumgesprochen, dass die 28 Armeen, 27 Luftwaffen und 23 Marinen in der EU höchst kostentreibend sind, und dass die EU-Ausgaben für Verteidigung insgesamt zwar die Hälfte von jenen der USA ausmachen, aber Europa militärisch nur ein Zehntel so effizient ist wie Amerika.

In einem Artikel, den der Philosoph Jürgen Habermas gemeinsam mit führenden deutschen Sozialdemokraten und Konservativen Ende vergangenen Jahres veröffentlicht hat, rufen die Autoren dazu auf, endlich die „verteidigungspolitische Kleinstaaterei“ zu überwinden. Eine gemeinsame Armee schüfe viel mehr Verteidigungskraft, und das ohne zusätzliche Kosten. „Da wir nie mehr in Europa Krieg gegeneinander führen wollen, brauchen wir auch keine nationalen Armeen mehr“, heißt es da lakonisch.

Gewiss sind diese Überlegungen nicht neu. Auf die Schaffung einer gemeinsamen Armee hatten sich Frankreich, Großbritannien, Italien, die Benelux-Staaten und Deutschland bereits Anfang der 1950er-Jahre in einem Vertrag geeinigt. Der wurde dann aber von der französischen Nationalversammlung nicht ratifiziert. Auch in der Folge zeigte Frankreich wenig Interesse daran, dereinst seine Force de Frappe in eine gemeinsame EU-Armee einzubringen.

Die Perspektive einer EU-Armee erscheint erstmals wirklich realistisch.

Dann aber kam Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron: „Wir werden die Europäer nicht schützen, wenn wir uns nicht für eine veritable europäische Armee entscheiden“, verkündete der französische Staatspräsident vergangenen November. Neue Töne also aus Paris. Sie wurden in Berlin gehört. Und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel zog nach: „Wir als Europäer müssen unser Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen, wenn wir als Gemeinschaft überleben sollen“, sagte sie und forderte gleichfalls die Europaarmee (als „gute Ergänzung“ zur Nato). Ohne militärisch glaubhaftes Unterfutter wäre auch ein ernsthaftes Mitspielen Europas in der Weltpolitik nicht denkbar, meint Merkel. Und dieses sei gerade jetzt so wichtig, wo sich die USA immer mehr aus ihrer globalen Rolle zurückziehen.

Frankreich und Deutschland ziehen in dieser Frage nun also an einem Strang – ein Novum. Die beiden Länder haben das im Aachener Freundschaftsvertrag vom 22. Jänner auch niedergelegt. Die Perspektive einer gemeinsamen EU-Armee erscheint erstmals wirklich realistisch.

Dass diese alte Idee gerade jetzt zur Wirklichkeit drängt, ist kein Zufall. Die Umstände sind danach. Ein aggressives Russland unter Wladimir Putin im Osten; ein Donald Trump jenseits des Atlantiks, der die Nato auflösen will, die EU und ihre Staaten als Amerikas Feinde sieht und behandelt; der immer chaotischer werdende Brexit; Diktaturen, Krieg und zerfallende Staaten an den südlichen und südöstlichen Grenzen der EU; aufsteigender Nationalismus auf dem europäischen Kontinent selbst: Seit 1945 war das Sicherheitsbedürfnis der Europäer selten größer als jetzt.

Das zeigt sich auch in den Umfragen. Nicht nur war die Zustimmung zu EU und Euro seit Langem nicht mehr so hoch wie jetzt. Auch sonst fühlen sich die Europäer von der EU eher beschützt als von den nationalen Institutionen. Und so nimmt es nicht wunder, dass laut Eurobarometer 55 Prozent der Unionsbürger für den Aufbau einer Europaarmee sind. In Österreich sind es immerhin noch 45 Prozent, ein angesichts der allgemeinen Ablehnung durch die überwältigende Mehrheit der heimischen Politiker beachtlicher Wert. So einsam, wie sich die NEOS-Kandidatin für das Europarlament angesichts der Reaktionen der heimischen Politik auf ihren europapolitischen Vorstoß fühlen mag, ist sie gar nicht. Claudia Gamon kommt jedenfalls das Verdienst zu, dass sie die Auseinandersetzung über die Zukunft Europas angestoßen hat. Und es ist zu wünschen, dass sie bei ihrem Mut und ihrer Europa-Begeisterung bleibt und sich auch nicht scheut, klar zu sagen, dass die Neutralität ohnehin seit Langem entsorgt hätte werden sollen.

Gerade jetzt zeigt sich ja, was diese Neutralität letztlich geworden ist: ein provinzieller Kleinstaat-Nationalismus, der Österreichs Mitwirkung am Aufbau eines vereinten Europas behindert, eine Ideologie, hinter der sich die dreisten Renationalisierer und ausglühenden Europäer verstecken.

Georg Hoffmann-Ostenhof