Georg Hoffmann-Ostenhof Korruption und Kosmetik
Jérôme Cahuzac schnipselte einst an den Gesichtern der guten Pariser Gesellschaft herum. Sein Vermögen machte der gelernte Kardiologe als Schönheitschirurg vor allem mit Haartransplantationen. Und nun präsentiert sich der zum Politiker mutierte Arzt als das hässliche Gesicht des französischen Sozialismus.
Ausgerechnet der allseits geachtete, fesche Budgetminister der französischen Linksregierung, der unter dem Präsidenten François Hollande für Steuerehrlichkeit zuständig war und die Staatsfinanzen in Ordnung bringen sollte, gab vergangene Woche nach langem, hartnäckigen Leugnen zu, Millionen am französischen Fiskus vorbei in der Schweiz und in Singapur geparkt zu haben.
Frankreich ist empört. Hollande, dem Cahuzac auch unter vier Augen treuherzig versichert hatte, er sei Opfer einer bösartigen Verleumdung, zeigte sich erschüttert über den Verrat seines Parteifreundes. Die rechte und linke Opposition ist voll der Häme. Und die Medien sprechen von einem der spektakulärsten Skandale der Fünften Republik.
Zunächst scheint das doch ein wenig übertrieben: Immerhin wurde erst im vergangenen Dezember Ex-Präsident Jacques Chirac wegen Untreue verurteilt. Er hatte einst als Pariser Bürgermeister systematisch Geld der Stadt für seine Gaullisten-Partei abgezweigt. Eric Woerth, Budget-Minister von Hollande-Vorgänger Nicolas Sarkozy, musste gehen, weil er der leicht dementen LOréal-Erbin Liliane Bettencourt Parteispenden in verbotener Höhe abgeluchst hatte. Und Sarko selbst steht gerade vor Gericht: Er soll sich ebenfalls persönlich von der Kosmetik-Milliardärin braune Kuverts mit hunderttausenden Euro abgeholt haben.
Verglichen mit diesen Affären wirkt das Steuervergehen Cahuzacs eher lässlich. Würde man meinen. Ist es aber nicht. Wenn die konservative französische Politik, die seit jeher in enger Symbiose mit der Geschäftswelt lebt und die Interessen der patrons unverhohlen vertritt, eine gewisse Lockerheit in Geldfragen an den Tag legt, ist man an der Seine nicht wirklich überrascht. Wenn aber just jener Minister, der von Hollande beauftragt ist, gegen Steuerbetrüger vorzugehen, sich als Steuersünder entpuppt, wenn wichtige Vertreter der Sozialisten, welche die Reichen zur Kassa bitten wollen und noch vor Kurzem vollmundig erklärten, jetzt endlich die Korruptionssümpfe der politischen Elite Frankreichs trocken zu legen, wenn also diese so moralisch auftretende Linke sich im gleichen Morast wieder findet (auch Hollandes ehemaliger Wahlkampfmanager hat steuersparend auf den Cayman-Inseln investiert), dann bekommt der Cahuzac-Skandal tatsächlich eine hochdramatische Dimension. So ist es eben: Wenn es um Geld geht, werden linke Politiker strenger beurteilt als rechte.
Für Hollande ein einziges Desaster. Nicht einmal ein Jahr im Amt, ist er heute bereits der unpopulärste Präsident seit einem halben Jahrhundert. Nur mehr 27 Prozent der Franzosen unterstützen ihn, die Glaubwürdigkeitslücke wird sich nun weiter vergrößern. Seit Monaten wird er in der satirischen TV-Puppen-Show Guignol als unentschlossenes Weichei verarscht, das vor jedem Angst hat: vor seiner Lebensgefährtin Valérie Trierweiler, vor der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und vor seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin, den er jüngst in Moskau besuchte.
Es sieht so aus, als ob dem Präsidenten mit Ausnahme des Militäreinsatzes in Mali bisher alles misslungen wäre: Der Gesetzesentwurf einer Reichensteuer wurde von den Höchstrichtern als verfassungswidrig zurückgewiesen. Das deklarierte Drei-Prozent-Ziel für das Budgetdefizit wird nicht erreicht, die Krise, aus welcher der Linke im Elysée-Palast die Franzosen führen wollte, ist heute tiefer, als zu seinem Amtsantritt. Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft sinkt weiter.
Wahrscheinlich ist Hollande Opfer seiner eigenen Wahlkampfrhetorik: Er gab vor allem der Sarkozy-Politik die Schuld an der Wirtschaftsmisere um dann spät zu erkennen, dass Frankreichs Krise viel tiefer greifende strukturelle Gründe hat. So konnte er die Wähler nur enttäuschen.
Die Frage, ob Hollandes vorsichtige Konsolidierungs- und Reformpolitik, die auf sozialen Konsens und Ausgleich achtet, eine grundlegend verfehlte Weichenstellung ist, kann heute noch nicht beantwortet werden. Möglich, dass sich das, was auf das Publikum heute so inkonsistent und zögerlich wirkt, auf lange Sicht doch noch als der erfolgreichere Weg aus der Krise erweist, als ein von seinen Gegnern geforderter drastischer Austeritätskurs. Ganz abschreiben sollte man Hollande also noch nicht.
Der Präsident zeigte sich nach dem Cahuzac-Geständnis jedenfalls ungewohnt dezidiert: Er schloss den ehemaligen Schönheitschirurgen aus der Partei aus. Ein Gesetzesentwurf werde unbarmherzig für die völlige Offenlegung der Einkommen von Ministern und Parlamentarier sorgen. Und allen wegen Korruption oder Steuerhinterziehung verurteilten Politikern soll auf Lebenszeit die Rückkehr in öffentliche Ämter verwehrt werden.
Die Rechtsopposition verwirft Hollandes Ankündigungen als bloße kosmetische Operationen. Aber könnte sich die Cahuzac-Affäre nicht als Ausgangspunkt für einen nachhaltigen Moralisierungsprozesses der französischen Politik herausstellen? Höchste Zeit wäre es.
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