Georg Hoffmann-Ostenhof: Der Linkspopulist
Vorneweg: Hätte Peter Pilz die Unterschriften von einfachen Staatsbürgern gebraucht, um kandidieren zu können, ich hätte unterschrieben. Käme er mit seiner Liste in den Nationalrat, wäre das sicher eine Belebung des österreichischen Parlamentarismus. Und die Argumentation für seinen linken Populismus, man dürfe die Frustrierten, die sich von der etablierten Politik mit Grausen abgewandt haben, nicht der extremen Rechten überlassen, hat etwas für sich. Also: Viel Glück!
Die politische Programmatik, mit der Pilz seinen Wahlkampf bestreitet, ist freilich zu diskutieren. Das wurde bisher nur sehr wenig getan.
Pilz, der Aufdecker der Nation, proklamiert, er wolle „unsere Heimat Europa und unsere Heimat Österreich verteidigen“. Heimat versteht er offenbar so wie Alexander Van der Bellen. In Ordnung. Aber wer bedroht die Heimat? Er macht zwei Hauptfeinde aus: „die nationalistische Rechte“ und „jede Spielart des politischen Islam“. Dass er im stärker werdenden Nationalismus eine Gefahr sieht, ist nachvollziehbar. Aber der politische Islam? Ist er tatsächlich der große Feind, gegen dessen Angriff sich Europa und Österreich verteidigen müssen?
Gewiss: Da ist der islamistische Terror. Am vergangenen Donnerstag wütete er wieder. Auf La Rambla, dem zentralen Boulevard Barcelonas, raste ein Lieferwagen in die flanierende Menge und tötete mindestens 13 Personen. Zweifellos sind die dschihadistischen Attentäter – meistens radikalisierte Kleinkriminelle – eine Herausforderung für Europa. Dem muss unmittelbar mit Militär in Nahost und in Europa mit Polizei, Geheimdiensten und Gerichten begegnet werden. Und klar: Es gibt einige wenige in Europa, die aus dem nahöstlichen „Heiligen Krieg“ zurückkehren und nun als „Gefährder“ eingestuft werden. Eine kleine Minderheit der muslimischen Jugend radikalisiert sich. Da ist viel zu tun. Nicht zuletzt auch im Bereich der Integrationspolitik.
Müssen wir uns wirklich gegen den Angriff des politischen Islam verteidigen?
Aber so schrecklich der Terrorismus auch ist und so sehr er Leid über seine Opfer und deren Angehörige bringt: Die westlichen Werte sind durch ihn ebenso wenig real infrage gestellt wie die Institutionen und Strukturen, die den Kontinent ausmachen und zusammenhalten. Ihr Ziel, Europa zu destabilisieren, erreichen die mörderischen Islamisten nicht einmal im Ansatz.
Dass Peter Pilz aufzeigt, wie die radikal-muslimische Ölmonarchie der Saudis mit viel Geld Einfluss unter den europäischen Muslimen gewinnen will, verdient Lob. Sein Engagement gegen die Umtriebe der türkischen AKP in Österreich ebenfalls. Er deckt auf, wie die islamisch orientierte Partei des zum Diktator mutierten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Austrotürken bespitzelt und teilweise unter Druck setzt. Aber welche Schlüsse zieht Pilz daraus?
Er will mit den doppelten österreichisch-türkischen Staatsbürgerschaften, die hierzulande nicht legal, aber bisher stillschweigend geduldet sind, radikal Schluss machen. Begründung: Da gibt es Erdoğan-Leute, „die bei uns alle Vorteile genießen, zugleich aber im türkischen Wahlkampf für Erdoğan Stimmung machen“. Daran stimmt hinten und vorne nichts. Um bei uns für den „Sultan“ zu agitieren, braucht es keine österreichische Staatsbürgerschaft. Und viele behalten ihren türkischen Pass aus ganz prosaischen Gründen. Sie wollen etwa nicht um eine Erbschaft umfallen oder möchten im Alter problemlos wieder in die Heimat zurückkehren können, um dort ihre Pension zu genießen. Auch Sentimentales mag eine Rolle spielen: Sie scheuen sich vor einem formalen Akt des Abschiednehmens von ihrer Herkunft.
Das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft entspricht nicht der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Ob wir das nun gut finden oder nicht – wir leben in Europa in mobilen Multikulti-Gesellschaften.
Und das ist verständlich. Das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft entspricht nicht der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Ob wir das nun gut finden oder nicht – wir leben in Europa in mobilen Multikulti-Gesellschaften. Immer mehr Menschen haben Mehrfachidentitäten. Nicht das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft durchzusetzen, sondern dieses abzuschaffen, wäre also zeitgemäß.
Zudem ist die große Unterstützung, die Erdoğan unter den österreichischen Türken genießt, weit weniger Ausdruck des politischen Islam, als viele glauben. Geliebt wird Erdoğan von vielen wahrscheinlich nicht so sehr als muslimischer Diktator, sondern vielmehr als einstiger großer Reformer, der in der Anfangszeit seiner Herrschaft die Türkei ökonomisch vorwärtsgebracht und modernisiert hat. Er hat Anfang dieses Jahrhunderts vor allem den anatolischen Unterschichten einen spektakulären Aufstieg ermöglicht – und aus diesen Schichten rekrutieren sich mehrheitlich die Austrotürken.
Im Übrigen ist es ihr gutes demokratisches Recht, auf Österreichs Straßen ihre Sympathie für Erdoğan zu bekunden. Anstatt sie zu denunzieren oder – wie Pilz es tut – vorzugeben, sie als Opfer einer von Ankara ausgehenden Verschwörung schützen zu wollen, könnte man ja Vertreter der türkischen Opposition – und von diesen gibt es wunderbare – einladen, die hier den Propagandisten der AKP Paroli bieten. Das hat bisher niemand getan, wäre aber wirksamer, als Erdoğan und Co. Auftrittsverbot zu geben.
Letztlich ist der große Feind „politischer Islam“, gegen dessen Generalangriff Europa und Österreich verteidigt werden müsse, ein Konstrukt. Eingesetzt im Wahlkampf erfüllt es die gleiche Funktion wie die Warnung vor der angeblich drohenden Islamisierung.
Deshalb bekommt mein alter Freund Peter Pilz, der sonst viel Richtiges sagt und tut, meine Stimme nicht.